"Hände weg vom Feld"

Das fordern die Kirchheimer für die Zukunft ihres Stadtteils

Grüne luden zur Diskussion - Stadtteilvertreter nutzten Chance für klare Worte

19.02.2020 UPDATE: 20.02.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 37 Sekunden
97 Hektar groß ist das Patrick-Henry-Village (im Vordergrund). Nach dem aktuellen Masterplan soll es um 18 Hektar auf Ackerflächen (links iim Bild) erweitert werden. Zum Kirchheimer Ortskern (im Bildhintergrund) sind es über zwei Kilometer Luftlinie. Foto: Kay Sommer

Von Sebastian Riemer

Heidelberg-Kirchheim. Die Kirchheimer fühlen sich benachteiligt: Ständig wird gegen ihre Interessen und ohne sie anzuhören über ihre Köpfe hinweg entschieden – so jedenfalls empfinden es manche Einwohner von "Kerche". Der Stadtteilvereinsvorsitzende Jörn Fuchs fasst diesen Eindruck gerne in einer provokanten Frage zusammen: "Sind Kirchheimer Bürger zweiter Klasse?"

Dieser Gefühlslage, die sich im größten der 15 Stadtteile über die Jahre verfestigt hat, wollten die Heidelberger Grünen etwas entgegensetzen. Zu ihrer öffentlichen Mitgliederversammlung am Dienstagabend luden sie ins Kirchheimer Bürgerzentrum, um über die Zukunft des Stadtteils ins Gespräch zu kommen. Rund 100 Menschen drängten sich in einem viel zu kleinen Raum im 2. Obergeschoss. Auch da zum Teil unversöhnliche Meinungen aufeinanderprallten, waren am Schluss alle einig: Gut, dass wir mal geredet haben.

Die Ausgangslage: Klar, die aktuellen Debatten um Patrick-Henry-Village (PHV), dessen geplante Erweiterung um 18 Hektar und die Straßenbahn dorthin sowie der künftige Standort des Ankunftszentrums für Flüchtlinge dominierten den Abend. Zu Beginn gab Grünen-Fraktionschef Derek Cofie-Nunoo, der 2017 selbst von Bergheim nach Kirchheim umzog, die Richtung vor: "Das Gebiet zwischen Kirchheimer Weg und PHV bietet riesige Chancen – aber es gibt auch viele Befürchtungen. Wir sind heute da, um frühzeitig ins Gespräch zu kommen, bevor der Entscheidungsdruck zu groß wird." Allerdings: In Sachen Ankunftszentrum und Straßenbahn ist der Entscheidungsdruck schon jetzt riesig.

Das Plädoyer des Landwirts: In seinem kurzen Impulsreferat wurde der Kirchheimer Landwirt Volker Kaltschmitt vom Aussiedlerhof Neurott deutlich: "In den 50ern gab es hier 40 Voll- und unzählige Nebenerwerbsbauern, heute noch 15 im Voll- und sechs im Nebenerwerb." Als Kirchheim vor 100 Jahren eingemeindet wurde, habe es 1200 Hektar Landwirtschaftsfläche gegeben, heute seien es noch rund 800 Hektar. "Jetzt sind weitere 70 Hektar in Gefahr – und damit wieder zwei, drei Betriebe", so der 57-Jährige. Dabei zählte Kaltschmitt alle drohenden Versiegelungen zusammen: die geplante PHV-Erweiterung, die Straßenbahntrasse, eine Verlegung des Ankunftszentrums auf den Gäulschlag, eine Wohnbebauung am Kirchheimer Weg und die Renaturierung des Leimbaches. Kaltschmitt endete unmissverständlich: "Ich sage Nein zu diesem Flächenverbrauch. Hände weg vom Kirchheimer Feld – wir brauchen es noch."

Die Forderungen des Stadtteilvereinschefs: Jörn Fuchs, Vorsitzender des Stadtteilvereins, schloss sich Kaltschmitt an ("Keine Vernichtung von Ackerflächen neben PHV, um dann in PHV ,Urban Gardening’ zu machen!") – und stellte weitere Forderungen: Der ÖPNV-Anschluss von PHV müsse Verbesserungen für ganz Kirchheim bringen. Die Sportflächen in PHV müssten erhalten bleiben, um auch von den Kirchheimer Vereinen genutzt werden zu können. Allgemeiner gesagt: "Die Entwicklung des PHV – und auch des Airfields – muss auch Kirchheim dienen." So könne etwa ein neues Gymnasium in PHV sinnvoll sein, weil die Kirchheimer Gymnasiasten bisher recht weite Wege zurücklegen müssen. Am wichtigsten aber war Fuchs: "Der Masterplan für PHV ist rechtlich nicht verbindlich, das sind nur Ideen. Und wir wollen bei der rechtlich-verbindlichen Bauleitplanung noch ein gewaltiges Wort mitreden."

Das Kennedy-Zitat: Carl Zillich von der Internationalen Bauausstellung (IBA) sah das etwas anders als Fuchs, schließlich hat die IBA den PHV-Masterplan erarbeitet und sieht darin weit mehr als nur unverbindliche Ideen. Nachdem er den autoarmen, stellplatzfreien "Stadtteil der Zukunft" kurz vorgestellt hatte, sagte Zillich (angelehnt an das berühmte John-F.-Kennedy-Zitat: "Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt."): "Fragt nicht, was PHV für Kirchheim tun kann ..." Den zweiten Satzteil sagte Zillich nicht – aber er forderte gemeinsame Anstrengungen, damit in PHV "wirklich Zukunft geschaffen werden kann".

Die Meinungen der Kirchheimer: An vier Thementischen wurde kontrovers diskutiert – mit eindeutigem Tenor: Die Kirchheimer, die am Dienstagabend dabei waren, wollen keine weitere Flächenversiegelung: "Kirchheim ist ja gerade wegen der vielen Natur so attraktiv", sagte eine Diskutantin. Ein Kirchheimer ergänzte: "Wir haben so viele Konversionsflächen: Wieso müssen wir zusätzlich noch mehr versiegeln?" Viele fordern auch, das Ankunftszentrum in PHV zu belassen.

Das Fazit: Ein lebhafter Abend, an dem die klaren Meinungen von Kirchheimern auf die offenen Ohren der Grünen trafen. Es ist immer gut, wenn Menschen miteinander reden. Klar ist aber auch: Zuzuhören bedeutet nicht, eine Position zu übernehmen. Oder wie Cofie-Nunoo zu Beginn sagte: "Heute geht es um Ihre Perspektive!" Doch wenn dann entschieden werde, müsse man die Dinge "natürlich im Gesamtzusammenhang" betrachten.

Grünen-Fraktionschef Derek Cofie-Nunoo (links) sagte zur Begrüßung zu den rund 100 Menschen im Kirchheimer Bürgerzentrum: „Heute geht es um Ihre Perspektive!“ Foto: Rothe
(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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