Telefone klingeln durch

Impfchaos bei Kinderärzten in Heidelberg

In den Praxen ist kaum noch ein Durchkommen. Alle wollen Termine, aber es fehlt am Impfstoff. Die Liefermengen seien nicht planbar, hört man.

14.06.2021 UPDATE: 15.06.2021 07:00 Uhr 2 Minuten, 39 Sekunden
Auch Kinder dürfen geimpft werden, aber der Impfstoff ist knapp und die Organisation ist schwierig. Foto: dpa

Von Sarah Hinney

Heidelberg. Bei den Kinderärzten ist am 7. Juni das Chaos ausgebrochen – und dieses Chaos hält an. Denn seit diesem Tag dürfen auch Kinder ab zwölf Jahren geimpft werden. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Impfung zwar lediglich für Kinder mit Vorerkrankungen oder für gesunde Kinder, die mit gefährdeten Personen zusammenleben, viele Eltern möchten ihre Kinder aber trotzdem impfen lassen.

Die Telefonleitungen in den Praxen sind seit Tagen dauerbesetzt. Susanna Griesheimer arbeitet in der Kinderarztpraxis von Dr. Elke Haffelder in Handschuhsheim. Die ersten Anrufe mit Nachfragen zur Corona-Schutzimpfung für Kinder gingen schon vor drei Wochen ein, berichtet sie. Jetzt werden es immer mehr, jeden Tag. "Es kommen auch viele direkt zu uns in die Praxis und fragen nach Impfungen. Allerdings müssen wir immer dasselbe antworten." Die Dauerantwort lautet: Es ist noch gar nicht ausreichend Impfstoff da.

Innerhalb der Praxis habe man einen Fahrplan: "Grundsätzlich impfen wir Kinder ab 15 Jahren." Ausnahmen gebe es für Kinder mit massiven Vorerkrankungen. Viele Eltern würden das akzeptieren – aber nicht alle. Insgesamt sei der zusätzliche Aufwand enorm. Zumal auch viele in der Praxis noch unbekannte Personen anrufen würden, die sich gern auf eine Warteliste setzen lassen möchten. Das sei aber nicht zu schaffen, seufzt Griesheimer.

An jenem Montag vor einer Woche, als die Priorisierung aufgehoben wurde, war sie mit zwei weiteren Kolleginnen im Dauereinsatz. "Wir machen Überstunden und Extrasprechstunden, die wir an die normalen Sprechstunden dranhängen – nur fürs Impfen." Dabei gibt es im Monat Juni in der Praxis Dr. Haffelder lediglich Zweitimpfungen – von Eltern. Kinder seien frühestens im Juli dran, die Warteliste sei uferlos. Es werde viel zu wenig publik gemacht, dass die Praxen gar nicht an Impfstoff drankommen, kritisiert Griesheimer.

Auch interessant
Coronaimpfung von Kindern: Covid-19-Impfung ja oder nein?
Corona-Impftermin: So geht es zur Impfung
Baden-Württemberg: So läuft es mit dem digitalen Impfpass
Corona-Pandemie: Warnungen vor schnellem Ende der Maskenpflicht

Von einer "organisatorischen Katastrophe" spricht eine Kinderärztin aus Heidelberg, die anonym bleiben möchte, gegenüber der RNZ. Sie schildert eindrücklich, was in ihrer Praxis seit vergangener Woche los ist. Am 7. Juni war es am schlimmsten, die Telefone waren dauerbelegt. "Wir haben hier Eltern, die stehen mit kranken Kindern in der Tür. Eine Mutter zeigte mir ihr Handy. 64 Mal hat sie versucht, anzurufen", berichtet die Ärztin. Das Team sei ununterbrochen damit beschäftigt zu erklären, "warum wir keinen Impfstoff haben". 200 Patienten stünden inzwischen auf der Warteliste, täglich würden es mehr. Das größte Problem sei die Unplanbarkeit, berichtet die Ärztin. Vergangene Woche habe sie überraschend 42 Dosen bekommen. "Wo soll ich die einfügen? Unser Terminplan ist voll." Zehn Stunden habe sie am Freitag und Samstag Patienten hinterhertelefoniert – in ihrer Freizeit.

Auch für die Impfung an sich opfern sie und ihre Kollegen Freizeit. Mittwochnachmittags wäre die Praxis eigentlich geschlossen, jetzt wird geimpft. Geld verdient sie damit nicht. 20 Euro pro Dosis rechtfertigen den organisatorischen Aufwand nicht. "Ich habe draufgelegt", sagt sie. Dazu kommt: Von den 36 angeforderten Impfdosen in dieser Woche bekam sie lediglich sechs – damit wird die Planung wieder über den Haufen geworfen. Die genaue Zahl der Impfdosen erfährt sie kurzfristig. "Wenn ich vorher wüsste, wie viele Dosen ich bekomme, wäre das organisatorisch alles zu schaffen, aber so ist es das nicht." Hinzu käme das "Ellenbogengerangel". Viele Patienten würden sich auf die Warteliste setzten lassen, woanders einen Termin bekommen – und nicht absagen. "Ich habe sicher schon 13 Personen angerufen, die bereits geimpft waren", ärgert sich die Ärztin.

Den initialen Gedanken, dass die Ärzte am besten wissen, bei welchen ihrer Patienten eine Impfung am ehesten angezeigt ist, findet sie in Ordnung. "Aber ich glaube, das ist mittlerweile passiert. Bei uns in der Praxis sind diese Patienten alle zumindest auf der Liste." Angesichts der unklaren Liefermengen ist sie der Meinung, dass die Impfung in den Impfzentren einfacher wäre. Überdies plädiert sie auch dafür, nicht umgehend Zwölfjährige zu impfen. "Ich finde, die älteren Jugendlichen haben eine Berechtigung, geimpft zu werden. Die haben viele Entbehrungen hinter sich und sollen sich wieder frei bewegen können."

Auch in einer dritten Kinderarztpraxis in Heidelberg kommen die Arzthelferinnen kaum hinterher. Teilweise würden schon Eltern von Dreijährigen anrufen, die ihre Kinder auf die Warteliste setzen lassen wollen, berichtet die Ärztin. Die Kinderärztin, die nicht namentlich genannt werden möchte, appelliert dringend an die Eltern: "Wenn Sie sich an mehreren Stellen gemeldet und einen Impftermin bekommen haben, sagen Sie die anderen Termine ab."

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.