Einblick in die Zelle: Die von einer Doppelmembran umgebene Kammer beinhaltet eine große Menge viraler RNA. Die 3D-Darstellung wurde am Computer generiert. Abbildung: Forscher/Nature Communications
Von Julia Lauer
Heidelberg. Heidelberger Wissenschaftler haben genauere Erkenntnisse darüber gewonnen, wie sich Coronaviren vermehren. "Wir wollten beschreiben, was in infizierten Zellen passiert und so die einzelnen Prozesse bei der Vermehrung des Virus besser verstehen", fasst Studienleiter Dr. Petr Chlanda sein Forschungsinteresse zusammen. Chlanda ist Virologe, der eine Forschungsgruppe am Zentrum für Infektiologie am Universitätsklinikum Heidelberg leitet. Die Studie wurde im Fachjournal "Nature Communications" veröffentlicht.
Für die Untersuchung nutzten Chlanda und sein Forschungsteam die Kryoelektronentomographie, mit deren Hilfe es möglich ist, kleinste Strukturen abzubilden. Obwohl das Virus sehr klein ist – etwa 10.000-mal kleiner als ein Stecknadelkopf –, gelang es so, Details des Virus sowie der menschlichen Wirtszelle aufzunehmen. "Dabei kommt es vor allem auf das Auflösungsvermögen des Mikroskops an", sagt Chlanda.
Um zu verdeutlichen, was er und seine Kollegen anhand von infizierten Zellen zeigen konnten, schickt er etwas Hintergrundwissen voraus. "Sobald das Coronavirus in seine Wirtszelle eindringt, verändert es verschiedene zelluläre Bestandteile. Dass diese Organellen – wichtige Strukturen innerhalb der Zelle – eine Rolle bei der Virusvermehrung spielen, war bereits bekannt", resümiert er.
Das Coronavirus erzeugt in den Zellen Bläschen mit Doppel-Membran, die einen geschützten Ort mit optimalen Bedingungen für die Vervielfältigung des RNA-Erbguts des Virus bieten. Das konnte sein Team abbilden: "Wie genau diese Bläschen gebildet werden, wo sich die RNA befindet und wie neue Viren in der Zelle zusammengebaut werden, konnten wir mit hoher Präzision und dreidimensional zeigen."
Die Arbeit mit infektiösen Krankheitserregern wie Coronaviren erfordert Labore mit erhöhter Sicherheitsstufe, in diesem Fall Sicherheitsstufe Drei. Da sich das hochmoderne Kryoelektronenmikroskop in einem Labor niedrigerer Sicherheitsstufe befindet, wurden die Sars-CoV-2-infizierten Zellen zunächst mit Formaldehyd inaktiviert – erst danach konnten die Wissenschaftler sie mithilfe der Kryoelektronentomographie genauer unter die Lupe nehmen. Bei diesem Verfahren wird der Untersuchungsgegenstand blitzartig eingefroren, damit alle Moleküle in ihrem originalen Zustand bleiben; "kryo" kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet "kalt".
Auch das Spike-Protein hat Chlandas Team genauer untersucht. Es sitzt auf der Oberfläche des Virus und nutzt seine Beweglichkeit, um einen passenden Rezeptor zu finden, über den der Erreger Sars-CoV-2 an menschliche Wirtszellen andocken kann. Weil dieses Protein also eine Schlüsselrolle dabei spielt, menschliche Zellen zu befallen und zu infizieren, ist es für die Wissenschaft interessant. "Wir konnten die Reorganisation des Spike-Proteins in neu gebildeten Viren im Inneren der Zelle sehr präzise dreidimensional darstellen und schätzen, dass sich etwa 50 Spike-Proteine auf einem Viruspartikel befinden", erklärt der studierte Biochemiker.
Allerdings ist das Spike-Protein nicht das einzige Protein, welches beim Zusammenbau des Virus von Bedeutung ist. "Bei der Bildung des Virus spielt neben zwei weiteren Membranproteinen vor allem ein spezielles Protein eine entscheidende Rolle, welches das Erbgut ins Virus bringt", sagt der Wissenschaftler. Dies sei durch seine Studie klarer geworden. Chlanda hofft, dass sich mit diesen Erkenntnissen neue Strategien zur Bekämpfung des Virus finden lassen: "Wenn die genauen Wechselwirkungen zwischen diesen Proteinen bestimmt werden könnten, könnte der Zusammenbau des Virus gehemmt und dadurch die Infektion gestoppt werden."
Auch andere Heidelberger Wissenschaftler arbeiten daran, mehr über coronabedingte Zellveränderungen in Erfahrung zu bringen. Die Membranbläschen im Zellinneren seien "regelrechte Vermehrungsfabriken für das Virus", sagte kürzlich der Heidelberger Virologe Ralf Bartenschlager im Gespräch mit der RNZ. Er und seine Kollegen hatten infizierte Zellen unter dem Elektronenmikroskop untersucht. Dabei wurde auch deutlich, dass wichtige Bestandteile der Zelle nach spätestens 48 Stunden abgestorben waren. Diese Zellschädigung kann schwere Krankheitsverläufe erklären – neben anderen Faktoren wie einer gesteigerten Blutgerinnung und einer geschwächten Immunabwehr.
"Die beiden Studien haben unterschiedliche Schwerpunkte und verwenden jeweils andere Techniken, ergänzen sich jedoch sehr gut", resümiert Chlanda. Während die Wissenschaftler um Bartenschlager die großflächigen morphologischen Veränderungen in infizierten Zellen untersucht hätten, sei es seinem Team um die strukturellen Details der viralen Komponenten gegangen. "Deshalb konnten wir auch beispielsweise einzelne virale RNA-Stränge in den Membranbläschen darstellen", erläutert er.