So digital will die Uni durchs Sommersemester kommen
Die Unibelegschaft hat sich für ein Semester der anderen Art gerüstet - Nicht jede Disziplin eignet sich gleichermaßen für den Umstieg

Von Hans Böhringer
Heidelberg. Am heutigen Montag beginnt das Sommersemester an der Ruperto Carola. Doch der Campus bleibt größtenteils leer. Zunächst sollen keine Präsenzveranstaltungen stattfinden, ab dem 4. Mai dann ausschließlich notwendige, wie zum Beispiel Prüfungen. Deshalb arbeiteten Dozenten, aber auch Studierende in den letzten Wochen an digitalen Lehrkonzepten. Die RNZ hat bei verschiedenen Fachrichtungen nachgefragt.
> Politikwissenschaften: Fragt man Professor Sebastian Harnisch, Direktor des Instituts, ob im Sommersemester ein vollwertiges Studium möglich sein wird, antwortet er: "Wir bemühen uns darum. Wird alles optimal klappen? Wahrscheinlich nein." Ein Problem sieht er bei der Auslastung des Netzes. Das sei ein Grund dafür, auf datenintensive Formen der Lehre, wie zum Beispiel Livestreams, größtenteils zu verzichten. Das Mittel der Wahl seien Powerpoint-Präsentationen mit darübergelegter Tonspur, sagt er: "Es gibt aber Studierende, die wollen die direkte Interaktion – da werden wir uns herantasten."
Hintergrund
Debatte zwischen Rektorat undStudenten vor dem Semesterstart
Wie geht es Studierenden vor dem digitalen Semesterstart? "Es gibt viele, die keine Ahnung haben, wie es weitergeht", meint Annalena Wirth, Pressereferentin des
Debatte zwischen Rektorat undStudenten vor dem Semesterstart
Wie geht es Studierenden vor dem digitalen Semesterstart? "Es gibt viele, die keine Ahnung haben, wie es weitergeht", meint Annalena Wirth, Pressereferentin des Studierendenrats (Stura). Planungsunsicherheit gebe es unter anderem wegen der rasanten Umstellung auf die digitale Lehre. "Die Uni Heidelberg", beklagt Wirth, "hat die Digitalisierung verschlafen in den letzten Jahren." Dieses Versäumnis führe nun dazu, dass Dozenten plötzlich neu lernen müssten, wie sie ihre Vorlesung hielten. Immerhin bringe die Krise auch eine Chance des Fortschritts: "Vielleicht lernen wir alle im Schnelllauf, wie es gehen kann."
Von dem digitalen Lernangebot, so Wirth, könnten aber nicht alle gleichermaßen profitieren, denn viele Studierende seien auf die Infrastruktur von Bibliotheken und Computerräumen angewiesen – die sind im Moment geschlossen. "Die Qualität der Lehre kann keineswegs auf dem bisherigen Niveau sichergestellt werden." Der Stura unterstützt eine Petition, die fordert, das Sommersemester zum "Nicht-Semester" zu machen, also eines, in dem Studienleistungen freiwillig sind.
Die Forderung nach einem "Nicht-Semester" könne man zwar politisch vertreten, meint Marietta Fuhrmann-Koch, Pressesprecherin der Uni. Sie betont jedoch, dass die Unileitung in "regelmäßigem Kontakt" mit der Studierendenvertretung stehe und dass man die Studierenden ständig über aktualisierte Angebote und Richtlinien auf der Webseite der Uni informiere. Sie weist zudem darauf hin, dass die Unibibliothek ihr digitales Angebot ausgeweitet hat und Bücher per Post verschickt.
Was den Vorwurf der versäumten Digitalisierung betrifft, räumt die Pressesprecherin ein: "Digitale Lehre spielt im internationalen Vergleich in Deutschland eine nicht so große Rolle. Insofern gibt es Nachholbedarf." Die Uni Heidelberg, sagt sie, begreife die Krise als "Chance, die digitale Lehre voranzutreiben" – es gebe aber durch die Gewichtung der "forschungsgeleiteten Lehre" eine zusätzliche Hürde: "Hier sind die Studierenden nicht Kunden, sondern Partner im Wissenschaftsprozess. Bei einer Uni dieses Typs wird die Präsenzlehre immer eine große Rolle spielen." (rnz)
Die Studierenden, meint Harnisch, seien alle "Digital Natives", dennoch müsse man sie nun in die universitätseigenen Programme einweisen. Dafür beauftragte der Direktor einen Absolventen der Fakultät mit der Einrichtung einer Erklär-Webseite und der Leitung eines Seminars. Dieses Seminar "Online-Studieren" soll zusätzliche technische Kompetenzen vermitteln – eine Investition, denn Harnisch rechnet damit, lange keine Präsenzveranstaltungen zu machen: "Da wir einen Langstreckenlauf, vielleicht einen Marathon vor uns haben, ist es jetzt Zeit anzufangen."
> Molekulare Biotechnologie: Diese interdisziplinäre Wissenschaft braucht das Labor. "Man kann nicht theoretisch lernen, wie man eine Pipette hält oder eine Bakterienkultur heranzüchtet", stellt Studienkoordinatorin Dorothea Kaufmann klar. Sie beschreibt, wie manche Laborpraktika dennoch digital stattfinden: Eine Lehrperson macht die Messungen vor der Kamera; die Studierenden bekommen die Daten, schauen sich das Video an und schreiben ihr Protokoll so, als ob sie selbst gemessen hätten. Als Dozentin entwickelt Kaufmann schon seit fünf Jahren digitale Formate und ist Beauftragte für die Umstellung in ihrem Fach.
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"Ich freue mich, dass die Digitalisierung jetzt so einen Schub bekommt", sagt sie, kritisiert aber zugleich, dass die Wertschätzung für das Digitale bisher ungenügend sei: "Da muss man viel Zeit investieren, das muss schließlich für die Studierenden attraktiv sein. Wir Lehrende müssen dafür honoriert werden." Kaufmann ist Heidelberger Stadträtin (Grüne), ihre Forderung in der Krise: "Wir brauchen mehr Personal und Material für die Digitalisierung." Die kurzfristig benötigten iPads ihrer Kollegen habe sie mit eigenen Drittmitteln bezahlen müssen – wie sie das zurückerstattet bekomme, wisse sie nicht.#
> Physik: "Ich bin ins kalte Wasser gefallen", erinnert sich Professor Michael Hausmann. Mitte März begann seine Physikvorlesung für Mediziner und Pharmazeuten, nach einer halben Woche musste er sein Publikum nach Hause schicken wegen der Corona-Verordnungen. Ein paar Studierende seien zu ihm gekommen, erzählt Hausmann, und hätten ihm Unterstützung angeboten, die Vorlesung samt Experimenten weiterzuführen, zu filmen und ins Internet zu stellen.
So stand innerhalb einer Woche die gesamte Vorlesung online, die begleitenden Praktika ebenfalls. "Irgendjemand muss der Pionier sein. Das waren gezwungenermaßen wir", sagt Hausmann: Die Mediziner beispielsweise bräuchten das Modul, damit ihr Studium weiterlaufe.
> Auch die Fachschaft der Mathematik, Physik und Informatik leistete in einem kurzfristig organisierten Projekt rasche Pionierarbeit: Gemeinsam mit Dozenten erarbeiteten und testeten die Studierenden knapp 20 verschiedene digitale Unterrichtsformate. "Das war eine ziemlich herausragende Leistung der Studierenden", urteilt der Physikprofessor Norbert Frank. Für seine Vorlesung "Experimentalphysik 2", bei der normalerweise rund 400 Studierende den Hörsaal füllen würden, entschied er sich für den universitätseigenen Streamingdienst.
Ein Student moderiert dabei den nebenherlaufenden Chat und "kanalisiert" die Fragen der Zuschauer. "Mir war es wichtig, dass der Austausch lebendig gestaltet wird", erklärt Frank: "Ohne Zwischenfragen verliert die Vorlesung ihren Charakter." Für ihn sind die Streams eine Übergangslösung, er hofft, bald wieder vor einem Publikum zu stehen.