Schweigend zogen die Gewerkschafter und Antifaschisten an Allerheiligen auf den Bergfriedhof. In Ansprachen warnten sie vor neuen Formen von Rassismus und Rechtspopulismus. Foto: Philipp Rothe
Von Sara Wess
Heidelberg. Über den Bergfriedhof zieht spätherbstliche Kälte, sie kriecht unbemerkt unter Jacken und Mützen. Nahezu schweigend ziehen die Besucher vom Krematorium zum Mahnmal der Opfer nationalsozialistischer Justiz. Wie auch in den vergangenen Jahren lud die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes Heidelberg (VVN-BdA) in Kooperation mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund zur Gedenkfeier an Allerheiligen ein.
Silke Makowski, Vorstandsmitglied der VVN-BdA, mahnt in ihrer Begrüßungsrede: "Gerade heute ist Gedenken immer mehr Angriffen von rechts ausgesetzt." Sie erinnert an den baden-württembergischen Landtagsabgeordneten der AfD, Wolfgang Gedeon, der die Verlegung von Stolpersteinen zu Beginn dieses Jahres als Teil einer "Erinnerungsdiktatur" bezeichnete. Das Recht auf würdevolles Gedenken müsse verteidigt werden, fordert Makowski. Abschließend appelliert sie: "Wir dürfen nicht zulassen, dass die von den Nazis begangenen Verbrechen gegen die Menschheit verharmlost werden!"
Die Hauptrede hält Ilona Lagrene vom Vorstand des Verbands Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Rheinland-Pfalz. "Es ist unsere Aufgabe zu gedenken, zu erinnern und zu mahnen", verkündet die 1950 in Heidelberg geborene Aktivistin: "Daran, was war, was geschehen ist, und was nie wieder geschehen darf." Lagrene widmet das Grußwort ihrer in diesem Jahr verstorbenen Schwester Renate Meinhardt, die viele Jahre als Zeitzeugin von der Deportation der Heidelberger Sinti und Roma berichtete. Auch Lagrene spricht an diesem Donnerstag von den Lkws, die Eltern und Schwester nachts aus Ludwigshafen wegbrachten, von überfüllten Waggons auf dem Weg nach Polen, von Hunger und Durst und von Kinderaugen, die viel zu früh viel zu viele Tote sahen. Doch während der Krieg eines Tages endete, hielt die Diskriminierung der Sinti und Roma an.
Abschließend richtet Lagrene klare Worte an die rund hundert Anwesenden: "In einer Zeit wie heute bergen rassistische Ideologien eine Dynamik, deren Gefahr nicht zu unterschätzen ist. Wir wissen, was los ist. Also lasst es nicht zu, greift ein, wenn jemand auf der Straße angegriffen wird. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns wehren müssen!" Gemeinsam mit dem Mannheimer Chor "Gegenwehr" werden politische Lieder aus vergangenen Zeiten gesungen, neben dem Einheitsfrontlied auch das italienische Partisanenlied "Bella Ciao", das in abgewandelter Form zum diesjährigen Sommerhit wurde.
Martin Hornung, Sprecher der IG Metall Heidelberg, zitiert im Rahmen seines Grußwortes die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano. "Der Satz ,Wehret den Anfängen’ ist längst überholt. Wir sind mittendrin!" Hornung betont, Rechtspopulisten zu wählen, habe nichts mit Protestwählen zu tun, es ebne lediglich Rechtsextremen den Weg. Mia Lindemann vom Asylarbeitskreis fügt hinzu: "Die Alltäglichkeit des Rassismus nicht zu akzeptieren, darin liegt Widerstand heute." Abschließend spricht ein Vertreter der Antifaschistischen Aktion sein Grußwort aus: "Wir wollen weiterhin ein Dorn im Auge derer bleiben, die sich stolz auf über 1000 Jahre deutscher Geschichte berufen." Zum Ende der Gedenkfeier singt man das Moorsoldatenlied, verfasst von Häftlingen des Konzentrationslagers Börgermoor im Jahr 1933. Rote Nelken werden vor dem Mahnmal abgelegt - und der wolkenverhangene Himmel klart endlich ein wenig auf.