Von Joris Ufer
Heidelberg. Mit Ausgangssperre und starker Polizeipräsenz verlief die Silvesternacht in Heidelberg so still wie noch nie. Plätze, an denen die Menschen sonst dicht an dicht den Jahreswechsel feiern, lagen dieses Mal verwaist im kalten Nieselregen. Nur an der fröhlichen Musik aus vielen Wohnungen war zu erkennen, dass die Heidelberger auch unter diesen Umständen den Start in das Jahr 2021 festlich begangen haben – wenn auch nur im kleinen Kreis.
22 Uhr, Bismarckplatz: Heidelberg gleicht beinahe einer Geisterstadt. Immer noch kommen ein paar Busse und Bahnen an dem sonst so belebten Bismarckplatz an, doch in keinem von ihnen ist auch nur ein einziger Fahrgast auszumachen. Bloß ein junges Paar geht die Straße entlang. Sie seien auf dem Weg zur Tankstelle, um noch etwas einzukaufen, erzählen sie. Als sie eine Polizeistreife entdecken, entscheiden sie sich spontan um – und treten eilig den Heimweg an. Auch ein junger Mann ist auf dem Weg zur Tankstelle. Er arbeite dort und sei schon spät dran. Als er weitergeht, verhallen seine Schritte in der nebligen Nacht. Vereinzelt durchbricht ein lauter Knall die Stille. Manch einer will es sich nicht nehmen lassen, zumindest die Böller, die noch vom Vorjahr übrig sind, ihrem donnernden Schicksal zuzuführen.
22.30 Uhr, Neuenheim: Nebel liegt über der Neckarwiese. Für die zahlreichen Gänse hier dürfte es die angenehmste Silvesternacht ihres Lebens werden. Völlig unbehelligt von lärmenden Menschen haben sie das Areal wieder in Besitz genommen. Die Hundehalter, die gelegentlich vorbeikommen, ignorieren sie einfach. Der Neuenheimer Marktplatz gleich um die Ecke ist an Silvester sonst ein beliebter Ort. Dieses Jahr ist auch er völlig verwaist. Doch still ist es hier nicht. Musik schallt aus vielen der hell erleuchteten Wohnungen. Wie zum Trotz dröhnt aus einem Fenster in der Ladenburger Straße plötzlich ein bekanntes Partylied: "Like the ceiling can’t hold us" – als ob die Decke uns nicht aushalten könnte. Trotz dieser Liebeserklärung an das Ausgehen bleiben die Bewohner drinnen.
23 Uhr, Altstadt: Auf der Theodor-Heuss-Brücke ist eine einzige Person unterwegs. Die junge Frau mit Mundschutz und Kopfhörern ist Altenpflegerin und auf dem Heimweg. "Es ist verrückt. Ich habe vorhin schon Bilder gemacht und gedacht, das ist echt nicht normal", sagt sie. Sie halte die Maßnahmen aber für richtig und sei in ihrem Beruf besonders von der Pandemie betroffen, obwohl sie derzeit glücklicherweise keine Fälle im Heim hätten. Auf dem Weg durch die Altstadt ist danach überhaupt kein Mensch mehr anzutreffen – auch nicht in der Unteren Straße, der Kneipenmeile Heidelbergs. Dafür fahren Polizeiautos fast im Minutentakt über die Hauptstraße. Ein Beamter berichtet: Bisher alles ruhig, es passiere fast nichts.
Mitternacht, Alte Brücke: Vor lauter Menschen kein Durchkommen ist auf der Alten Brücke normalerweise zum Jahreswechsel. Jetzt, um 0 Uhr, stehen hier nur ein paar Polizisten und zwei Streifenwagen. Fröhlich wünschen die Kollegen einander ein frohes neues Jahr – und scheinen es zu genießen, den traumhaften Blick auf das hell erleuchtete Schloss ausnahmsweise für sich allein zu haben. Eher unerwartet sind von beiden Seiten des Flusses Böller zu hören. Die Menschen zünden von ihren Vorgärten und Terrassen die Raketen und Kracher, die offenbar noch vom Vorjahr übrig geblieben – oder illegal online bestellt worden – sind. Dennoch ist es ein bescheidenes Feuerwerk. Zwar hallen die lauteren Exemplare wie Kanonenschläge durch das Neckartal - am Himmel zu sehen ist aber nur wenig. Einige Mutige wagen sich mit Böllern und Sektgläsern auch vor die Tür, verschwinden angesichts der großen Polizeipräsenz aber meist schnell wieder in den Hauseingängen. Vielerorts hört man lautes Jubeln und in manch einem Fenster ist ein tanzendes Paar zu sehen.
1 Uhr, Weststadt: Es ist wieder still geworden in Heidelberg. Auf dem Wilhelmsplatz in der Weststadt regt sich nichts mehr, und auch die meisten Wohnungen liegen nun im Dunkeln. Nur selten hört man noch den Knall eines Böllers, und über die Straßen rollen nur noch einige Polizei- und Krankenwagen sowie die letzten Busse. Diese Silvesternacht war so ereignislos wie historisch. Sie markiert den Abschluss eines seltsamen, herausfordernden Jahres – und den hoffnungsvollen Beginn eines besseren 2021.