Ankunftszentrum Heidelberg

Bündnis kritisiert städtische "Desinformations-Kampagne"

Vor dem Bürgerentscheid zum Ankunftszentrum wollte Initiative mit "unrichtigen Behauptungen" aufräumen.

07.04.2021 UPDATE: 08.04.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 59 Sekunden
Die Kampagnen der Stadt (oben) und der SPD (unten) zum Bürgerentscheid sorgen im jeweils anderen Lager für Irritation und Ärger. Plakate der Grünen – der größten Fraktion im Gemeinderat – sucht man vergebens. Foto: Philipp Rothe

Von Philipp Neumayr

Heidelberg. In drei Tagen steht womöglich fest, ob das Ankunftszentrum für Geflüchtete auf die Wolfsgärten zieht oder nicht. Die Stadtverwaltung wünscht sich die Verlagerung der Landeserstaufnahmeeinrichtung auf das Wieblinger Gewann – und wirbt etwa mittels Plakaten, Anzeigen sowie einer digitalen Gesprächsreihe für ein "Nein" beim Bürgerentscheid. Dorothee Hildebrandt, Sprecherin des Bündnisses für Ankunftszentrum, Flüchtlinge und Flächenerhalt (BAFF) sieht darin "eine Kampagne der Desinformation". Sie und ihr Bündnis, darunter auch Angehörige mehrerer Gemeinderatsfraktionen, luden am Montagnachmittag zu einem Pressegespräch ein – um mit "unrichtigen Behauptungen" aufzuräumen.

Sollte die Bürgerschaft gegen die Verlagerung des Ankunftszentrums auf die Wolfsgärten stimmen, werde es kein Ankunftszentrum in Heidelberg geben. Diese Konsequenz im Falle eines im Sinne der Stadt gescheiterten Bürgerentscheids hat Oberbürgermeister Eckart Würzner in der Vergangenheit immer wieder betont. Eine Aussage, die man laut Anke Schuster nicht so stehen lassen kann. Die SPD-Fraktionsvorsitzende betonte, dass, sollten die Wolfsgärten am Sonntag abgelehnt werden, nicht allein der OB entscheide, was künftig mit dem Ankunftszentrum passiere, sondern die 48 Stadträtinnen und Stadträte. Im Gemeinderat herrsche "großer Konsens", dass man das Ankunftszentrum in Heidelberg behalten wolle. Auch die Grünen-Fraktion als stärkste Fraktion im Rat habe das "immer wieder zum Ausdruck gebracht".

Arnulf Weiler-Lorentz ärgerte sich über die Behauptung der Stadtoberen, das Ankunftszentrum könne nicht in Patrick-Henry-Village (PHV), dem jetzigen Standort, bleiben. Der Stadtrat der Bunten Linken nannte diese Behauptungen "überheblich", schließlich seien weder der Oberbürgermeister noch Erster Bürgermeister Jürgen Odszuck für diese Entscheidung zuständig. "Wir haben einen Masterplan beschlossen, den kann der Gemeinderat morgen wieder ändern und dieser stellt kein Baurecht dar." Letztlich entschieden die Stadträtinnen und Stadträte, wie ein Gebiet, in diesem Fall PHV, bebaut werde.

Foto: Philipp Rothe

Zara Kiziltas, Stadträtin der "Linken", nannte es "ein Unding", dass das Ankunftszentrum "von vielen Seiten" gegen bezahlbaren Wohnraum ausgespielt werde. "Wenn man ganz genau hinsieht, setzt die Stadt mit ihrer Desinformationskampagne darauf, ein Ankunftszentrum auf Patrick-Henry-Village mit negativen Emotionen zu besetzen, indem einem Ankunftszentrum bezahlbarer Wohnraum gegenübergestellt wird – als würde das Eine das Andere ausschließen."

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Monika Meißner, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, bemängelte die Vernachlässigung des ökologischen Aspekts. "Ich empfinde den Umgang mit dieser Fläche, der von der Stadtverwaltung gepflegt wird, als außerordentlich ärgerlich." Das Gewann Wolfsgärten biete einen "guten und fruchtbaren Boden", zudem sei die Fläche wichtig für die Kaltluftentwicklung. Argumente wie diese "einfach so" wegzuwischen und zu sagen, es gebe keine Alternative für ein Ankunftszentrum, sei falsch. Meißner verwies hierbei auf einen SPD-Vorschlag, das Zentrum im Nordwesten von PHV zu errichten (die RNZ berichtete).

Bei der Zukunft Heidelbergs werde die Bürgerschaft in vielen Punkten "an der Nase herumgeführt", so Cornelia Wiethaler, Leiterin des Arbeitskreises Umweltpolitik beim Naturschutzbund Heidelberg. Beispielhaft nannte sie unter anderem eine Äußerung von Klimabürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain, der jüngst in einem Gespräch sagte, dass die Stadt mit fünf bis sieben Hektar pro Jahr "traditionell relativ sparsam und vorbildlich" beim Flächenverbrauch sei. Laut Wiethaler, die sich auf Zahlen des Statistischen Jahrbuchs bezieht, seien in den letzten Jahrzehnten im Schnitt aber rund zehn Hektar "fruchtbarster Landwirtschaftsflächen zerstört" worden.

Michael Pfeiffer von der Grün-Alternativen Liste betrachtet den "Wahlkampf" von Bürgerinitiative auf der einen Seite und Stadt und Land auf der anderen Seite als eine Art Kampf zwischen David gegen Goliat. Hinter der Kampagne der Stadt stünden Geld und Möglichkeiten, die das Bündnis nicht habe. Die Hoffnung vorzeitig aufgeben wollen er und BAFF aber nicht. So erinnerte Pfarrerin Sigrid Zweygart-Pérez, ebenfalls Sprecherin des Bündnisses, an die biblische Geschichte zwischen David und Goliat: "Wir hoffen sehr, dass es so ausgehen wird, wie es damals ausgegangen ist."


Plakate sorgen für Ärger

Seit fast vier Wochen ist die Stadt voll mit Plakaten, die für ein "Ja" oder "Nein" beim Bürgerentscheid am Sonntag werben. Doch nicht bei allen ist klar, was sie mit dem Ankunftszentrum für Geflüchtete und dem potenziellen Standort Wolfsgärten zu tun haben. Für Ärger zwischen den verschiedenen Lagern sorgen aber nicht nur Kampagnen, die irreführend wirken, sondern auch jene, die es gar nicht gibt. Die RNZ gibt einen Überblick:

Ja

Für ein "Ja" und damit gegen die Wolfsgärten wirbt nicht nur das Bündnis für Ankunftszentrum, Flüchtlinge und Flächenerhalt (BAFF), sondern auch mehrere Parteien, die darin Mitglied sind – allen voran die SPD und "Die Linke". Doch deren Plakate sorgen bei der Stadtverwaltung – die für ein "Nein" wirbt – für Unverständnis: Als "außerordentlich irritierend" hatte Bürgermeister Jürgen Odszuck Plakate der SPD bezeichnet mit der Aufschrift: "PHV für Menschen. Statt für Investoren." Das mache ihn betroffen, so Odszuck. "Wir wollen natürlich in PHV einen Stadtteil für Menschen entwickeln." Inwiefern das leichter werde, wenn das Ankunftszentrum dort bleibe, sei nicht nachvollziehbar. Auch Plakate der "Linken" gehen eigentlich am Thema vorbei. Dort steht etwa "Statt 150 Mio. an Makler, die Miete 150 Euro günstiger!" – auch wenn es beim Entscheid gar nicht darum geht, ob irgendwelche Wohnungen über Makler vermietet werden oder was diese kosten.

Nein

Während man im "Ja"-Lager mehrere Plakatmotive sieht, ist es im "Nein"-Lager übersichtlicher. Für die Wolfsgärten wirbt nämlich nur die Stadtverwaltung. Damit handelt sie zwar im Auftrag der Mehrheit des Gemeinderates und nutzt öffentliche Gelder. Die Fraktionen, die sich für die Wolfsgärten aussprechen, fahren jedoch – im Gegensatz zu den Gegnern – keine eigene Kampagne und halten sich auch sonst weitestgehend zurück. Unterstützung erhält die Stadt dafür von der Internationalen Bauausstellung (IBA), die die Vision für den neuen Stadtteil in Patrick-Henry-Village entwickelt hat. Sie äußert sich zwar nicht direkt zum Bürgerentscheid, wirbt auf Plakaten jedoch zeitgleich für den "Dynamischen Masterplan". Und dass der nur umsetzbar sei, wenn das Ankunftszentrum verlagert werde, hatten IBA und Stadt bereits schon betont.

Vielleicht

Kaum wahrzunehmen sind in der Auseinandersetzung auch die Grünen, die mit Abstand größte Fraktion im Gemeinderat stellen. Im Stadtblatt betonten sie vor wenigen Wochen, dass es gut sei, die Wolfsgärten "im Rennen" zu halten. Öffentlich für ein "Nein" wirbt die Partei jedoch nicht. Das sorgt für Spott beim politischen Gegner: "Es zeugt nicht gerade von Gestaltungsfreude, dass sich die Gewinner der letzten Kommunalwahl bei diesem Zukunftsthema einfach zurücklehnen und offenbar hoffen, dass das Quorum nicht erreicht wird", sagt der stellvertretende SPD-Kreisvorsitzende Tim Tugendhat.

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