RNZ-Forum zu "Körperwelten" in Heidelberg

Vor allem die Fachleute argumentierten mit Schärfe (plus Fotogalerie)

Beim RNZ-Forum zu den "Körperwelten" dominierten die Skeptiker die Diskussion, unterlagen aber bei der Abstimmung im Publikum

25.06.2017 UPDATE: 26.06.2017 06:00 Uhr 3 Minuten, 16 Sekunden

Mit diesem Plakat (Ausschnitt) soll für die Körperwelten-Ausstellung im Alten Hallenbad in Heidelberg geworben werden. Foto: RNZ

Von Micha Hörnle

Eines hat sich in den letzten 20 Jahren, seit der ersten "Körperwelten"-Ausstellung in Mannheim, nicht geändert: Die plastinierten Leichen polarisieren und emotionalisieren immer noch. Was sich aber durchaus geändert hat: Im Gegensatz zu früher stehen die Befürworter der Ausstellung zu ihrer Meinung und geben den Kritikern lebhaft Kontra. Und beim RNZ-Forum am Freitagabend im Frauenbad des ehemaligen Alten Hallenbads - gegenüber, ins Männerbad, soll im September die Dauerausstellung ziehen - waren sie sogar knapp in der Mehrzahl.

Als vor der Diskussion RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel die Frage stellte, wer die "Körperwelten" im Alten Hallenbad gut oder schlecht findet, gab es noch einen Gleichstand: je 40 Prozent der gut 200 Zuhörer waren dafür oder dagegen, 20 Prozent unentschieden. Knapp zwei Stunden später - aber da waren auch schon viele gegangen - war mehr als die Hälfte dafür, etwa 35 Prozent dagegen und ein kleiner Rest immer noch ohne Meinung.

Leider blieb ungeklärt, ob sich viele von den Argumenten umstimmen ließen, zumindest outeten sich bei der RNZ-Umfrage doch eher die Befürworter der "Köperwelten". Einer der bemerkenswertesten Wortbeiträge in der anschließenden Diskussion stammte von einem, bei dem man es am wenigsten erwartet hätte, dass er in dieser Angelegenheit von Selbstzweifeln geplagt wird: dem katholischen Pfarrer für Neuenheim und Handschuhsheim, Josef Mohr: "Ich bin unentschieden. Aber ich will Hans-Georg Gadamer zitieren: ,Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte.‘ Ich erhebe keine Einwände mehr."

Die ausgetauschten Argumente waren allerdings nicht mehr ganz so neu: Während Axel W. Bauer (Leiter des Fachgebiets Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Medizinischen Fakultät Mannheim) mehrfach fragte, was an den Körperwelten so schlimm sein soll - schließlich gehe es um "Anatomie für alle" -, empörte sich sein Standeskollege Rolf Verres (ehemaliger Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie der Universität Heidelberg) darüber, dass bei den Ausstellungen Menschen zu Schauobjekten degradiert würden; besonders widerwärtig sei ihm ein Mobile aus verschiedenen Organen.

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Hintergrund

Zitate beim RNZ-Forum

Eigentümer Hans-Jörg Kraus: "Ich habe keine ethischen oder moralischen Bedenken, was die ,Körperwelten‘ im Alten Hallenbad angeht. Aber ich habe Verständnis, dass jemand damit Probleme hat. Aber der darf anderen

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Zitate beim RNZ-Forum

Eigentümer Hans-Jörg Kraus: "Ich habe keine ethischen oder moralischen Bedenken, was die ,Körperwelten‘ im Alten Hallenbad angeht. Aber ich habe Verständnis, dass jemand damit Probleme hat. Aber der darf anderen seinen Willen nicht aufzwingen. Schließlich haben wir Demokratie und Freiheit."

Pfarrerin Birgit Wasserbäch: "Ich habe ein Problem damit, dass die Plastinate nicht beerdigt werden. Das kann gerade für Angehörige und Freunde sehr schwer sein. Außerdem wird hier der Tod auf eine idealtypische Weise dargestellt - was ja selten der Fall ist."

Medizinethiker Axel W. Bauer: "Die Anatomie ist ein wichtiges Fach der Medizin. Ich sehe darin nichts Unanständiges, wenn daran auch die Öffentlichkeit teilnimmt." - "Bei meinem Besuch der Ausstellung in Mainz 2016 herrschte unter den Besuchern eine Atmosphäre wie in einem Museum oder im Studiersaal - aber keine Sensationslust."

Psychologe Rolf Verres: "Ich habe jahrzehntelang versucht, Ärzten zu vermitteln, dass sie achtsam gegenüber menschlichem Leben sein sollen. Und nun sollen tote Menschen als Spielzeug, als Kunstwerke benutzt werden. Das kann nicht sein!"

"Körperwelten"-Macherin Angelina Whalley: "Für uns war es nie ein Anliegen, Kunstwerke zu machen. Unsere Plastinate dienen immer der anatomischen Darstellung." - "Heidelberg hat für uns eine große Bedeutung, denn hier hat mein Mann Gunther von Hagens 1977 die Plastination erfunden. Wir haben uns lange hier um einen Standort für eine Dauerausstellung bemüht."

Claus Bartram, ehemaliger Dekan der Medizinischen Fakultät: "Ich habe damals vor 20 Jahren die Ausstellung in Mannheim gesehen - und war schockiert. Hier ging es nicht um anatomische Präparate, sondern um eine Selbstinszenierung Gunther von Hagens’ in einer unglaublichen Art. Ich glaube, dass diese Art der Darstellung nicht der Menschenwürde entspricht." hö

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Da prallten grundverschiedene Vorstellungen aufeinander - und trotz ihres heftigen Streits vor 20 Jahren reden Bauer und Verres wieder miteinander. Tatsächlich war auch die weitere Diskussion meist zivilisiert, doch einer der heftigsten und emotionalsten Beiträge kam ausgerechnet von einem Mediziner, dem langjährigen Dekan des Universitätsklinikums, Claus Bartram: Die Art, wie die Präparate präsentiert werden, entspreche nicht der Menschenwürde.

Der betont nüchtern-sachlich auftretende Bauer antwortete so: "Die Menschenwürde ist das höchste Axiom (der höchste theoretische Grundsatz, Anm. d. Red.) unserer Verfassung. Bei den Urteilen zu den ,Körperwelten‘ wurde in den letzten 20 Jahren nie die Verletzung der Menschenwürde festgestellt, sonst wären die Ausstellungen verboten worden." Zumal sich ja die Körperspender freiwillig dazu entschlossen hätten, sich plastinieren zu lassen, nachdem sie vorher darüber genau aufgeklärt worden waren. Bauer: "Ich vertrete sonst erzkonservative Positionen, was das Leben angeht, aber mit den ,Körperwelten‘ habe ich absolut keine Probleme."

Und als dann ausgerechnet Rolf Verres emotional wurde ("Ich bin auch ein Mann mit Gefühlen") und einen recht kühnen Vergleich der "Körperwelten" mit dem Holocaust-Museum in Jerusalem zog, wurde der Saal ziemlich unruhig. Einer der Zuhörer fragte dann auch eher ungläubig: "Ich bin überrascht, wie emotional diese Debatte in einer Wissenschaftsstadt wie Heidelberg geführt wird."

Tatsächlich waren es vor allem eher die Leute vom Fach, die Mediziner, die Schärfe in die Diskussion brachten - dieser Berufsstand hat mitnichten seinen Frieden mit dieser Form der Leichenschau gemacht. So befürchteten die Ärzte der nahen Psychiatrie das Schlimmste für ihre seelisch labilen Patienten, wenn die auf einmal allein schon die "Körperwelten"-Plakate am Hallenbad hängen sehen würden. "Körperwelten"-Macherin Whalley konterte kühl: "Ich bezweifle das, sondern glaube eher, Sie übertragen Ihre Ablehnung gegen die ,Körperwelten‘ auf Ihre Patienten."

Die Kirchen, vertreten von der Klinikseelsorgerin und evangelischen Pfarrerin Birgit Wasserbäch - sie ist stellvertretendes Mitglied in der Ethik-Kommission der Landesärztekammer -, sind offiziell (vielleicht bis auf Pfarrer Mohr) ganz klar gegen die "Körperwelten". Aber, so fragte der Moderator, RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel, sind sie denn überhaupt noch nah an ihren Schäfchen? Denn selbst gläubige Christen zeigten sich nach einer Umfrage der Uni Kassel von den "Körperwelten" angetan. Darauf Wasserbäch: "Ich bin nicht die Kirche, ich stehe für einen Teil der evangelischen Kirche, für den das kein Modell für den Umgang mit Verstorbenen ist."

Eine Zuhörerin stellte dann die Gretchenfrage: Wie in aller Welt wolle man anhand von Plastinaten die versprochene "Anatomie des Glücks" - so der Titel der Heidelberger Dauerausstellung - zeigen? Glück entstehe doch im Umgang mit anderen Menschen. Man hätte auch sagen können, dass kein noch so gutes Plastinat eine Endorphinausschüttung zeigen kann. Aber vielleicht ist der Titel auch nur Nebensache.

Die Befürchtung der Psychiatriemediziner ist schon eingetreten: Vor dem Alten Hallenbad hängt schon ein "Körperwelten"-Plakat: Es zeigt oben einen fitten Mann von Mitte 20, der ab der Brust in ein Plastinat übergeht. Der sportliche nackte Jüngling sieht zufrieden aus, aber so richtig versteht man nicht, was an dem Plastinat - wohl nicht von einem Spender im selben Lebensalter - auf Glück hindeuten soll.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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