Von Anica Edinger
Heidelberg. Es war ein einziges Bild, das den Ausschlag gab. "Dschihad - Freiheit - Jerusalem - Arabisch - Ja!" sei laut darauf zu lesen. Deshalb sagte sie die Ausstellung "Erlebtes, Ängste und Träume - Kinder in Palästina" mit Zeichnungen aus zwei Trauma-Rehabilitationszentren im Gazastreifen und in Ramallah im Bürgeramt Mitte ab - einen Tag vor Ausstellungsbeginn. Nur: Die Stadt hat offenbar nicht richtig recherchiert. Denn was für sie die "rote Linie" war, ist schlicht ein Vorname. Nämlich der des Jungen, der das Bild malte.
Das verifizierte jetzt auf RNZ-Anfrage Prof. Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz. Die Uni Heidelberg hatte ihn als ausgewiesenen Experten auf diesem Gebiet empfohlen. Und nachdem Meyer sich das betreffende Bild angesehen hatte, kam er zu dem Schluss: "Nach Rücksprache mit arabischen Kollegen geht es hier eindeutig um den Namen des Kindes." "Dschihad" sei in der gesamten arabischen Welt ein weitverbreiteter Vorname. "Er bezieht sich primär auf den ,großen Dschihad‘, das heißt den täglichen inneren Kampf jedes Gläubigen um ein gottgefälliges Leben. Der ,kleine Dschihad‘ - das, was bei uns unter Dschihad als blutiger Glaubenskrieg verstanden wird - beinhaltet die extreme Ausnahme zur Verteidigung des Islam", erklärt Meyer. Wörtlich steht laut Meyer auf dem Bild: "Name: Dschihad Mahyiub Srour / Palästina, die Freiheit / Jerusalem, arabische, Ja".
Für die Palästina-/Nahost-Initiative, die Organisatoren der Ausstellung, ist diese neue Erkenntnis jetzt ein weiterer Beleg dafür, dass die Stadtverwaltung in der Sache besonders unüberlegt und vorschnell vorgegangen ist. "Die Stadt hätte mit mir in Verhandlungen treten können, dann hätten wir die Sache ausdiskutieren können", sagt Berno Wies-Mechela, der den Ausstellungsvertrag mit der Stadt abgeschlossen und die Tafeln im Bürgeramt aufgehängt hatte. Sein Urteil ist deutlich: "Die Stadt hat zu schnell und zu rigoros gehandelt."
In 16 weiteren deutschen Städten und in der österreichischen Hauptstadt Wien sei die Ausstellung schließlich mit großem Erfolg gezeigt worden. In München wurde sie sogar vom Kulturreferat der Stadt und vom dortigen Friedensbündnis unterstützt. Es war auch eine Münchnerin, die die Zeichnungen überhaupt erst nach Deutschland geholt hatte: Karin Nebauer ist Kuratorin der Ausstellung. Für die 76-Jährige handelt es sich dabei ganz klar um "ein friedenspolitisches Projekt". Es geht darum, "den Konflikt so zu zeigen, wie er tatsächlich ist", sagt sie. Und schiebt hinterher: "Gewalt ist kein Mittel, um Frieden herzustellen." Im Frühjahr 2012 wurde Nebauer auf die Kinderzeichnungen aufmerksam: Zu diesem Zeitpunkt wurden sie gerade im spanischen Valencia gezeigt. Nebauer fuhr dorthin und nahm schließlich Kontakt mit dem Traumarehabilitationszentrum in Ramallah im Westjordanland auf, die im Besitz der Originalbilder sind. Entstanden sind sie dort in mehreren Sommercamps des Rehabilitationszentrums für Folteropfer. Mehrfach wurde in Leserzuschriften an die RNZ der Vorwurf erhoben, die Zeichnungen könnten unmöglich von Kindern stammen. Nebauer sagt dazu nur trocken: "Sie sind von Kindern gemalt - leider." Schließlich sei es besonders tragisch, dass sie tatsächlich erlebt haben, was auf den Bildern zu sehen ist.
Eben das ist auch für Winfried Belz von der Palästina-/Nahost-Initiative das zentrale Anliegen der Ausstellung: "Es geht darum, das Thema der leidenden palästinensischen Kinder in die Öffentlichkeit zu bringen." Doch ganz offenbar sei das eine Botschaft, "die hier in unserer Gesellschaft nicht thematisiert werden darf".
Info: Die Ausstellung "Kinder in Palästina" ist bis Ende September im Eine-Welt-Zentrum im Hauptbahnhof, Willy-Brandt-Platz 5, montags bis freitags von 10 bis 17 Uhr zu sehen.