Wie bitte? Die Hand am Ohr ist die erste Hilfe, wenn das Hörvermögen nachlässt. Welche Möglichkeiten die moderne Medizin bei stärkerer Schwerhörigkeit hat, legte Professor Peter K. Plinkert vor großem Publikum bei "Medizin am Abend" dar. Foto: Rothe
Von Birgit Sommer
Heidelberg. Ludwig van Beethoven war schon als 28-Jähriger schwerhörig, später ertaubte er vollends. "Wie ein Verbannter muss ich leben", klagte er. Dem Künstler, der seine eigenen, gewaltigen Musikschöpfungen nicht hören konnte und oft ziemlich verzweifelt war, könnten die Ärzte heute, mehr als 200 Jahre später, helfen. Professor Peter Plinkert, Chef der HNO-Universitätsklinik, zeigte bei "Medizin am Abend" in der Kopfklinik, wie das Hörvermögen funktioniert und wie man es heute durch Technik - fast - wiederherstellen kann. Rund 500 Besucher zeigten großes Interesse am Thema.
Plinkert beschrieb die feine Konstruktion von Mittel- und Innenohr und wie Leitung und Umwandlung des Schalls funktionieren. Nicht ganz einfach zu verstehen: Vom Trommelfell wird das Schallsignal durch Schwingungen der Mittelohrknöchelchen auf den "Steigbügel" und von dort durch Bewegungen der Fußplatte des "Steigbügels" auf das Innenohr übertragen. Diese Vibration im Mittelohr erzeugt eine Welle im flüssigkeitsgefüllten Innenohr, die weiterwandert, dann strandet und an dieser Stelle bestimmte Haarzellen (Hörsinneszellen) reizt. Die Tonhöhe bestimmt den Ort, wo sie strandet. Letztlich wird beim Hören das mechanische Schallsignal in ein körpereigenes elektrisches Signal überführt.
Bei Problemen im Mittelohr können die Mediziner feinste Titan-Implantate als Gehörknöchelchenersatz einbauen, wie Plinkert in Bildern zeigte. Oder es helfen Knochenleitungshörgeräte, die über eine Titanschraube am Schädel hinter dem Ohr befestigt oder neuerdings auch teilimplantiert werden können. Beethoven versuchte es zuerst mit Hörrohren und nahm einen Holzstab zwischen die Zähne, um das Vibrieren seines Hammerflügels auf den Schädel zu übertragen. "Die Töne hör ich wohl, aber ich höre die Worte nicht", beschrieb der Komponist und Pianist im Jahr 1801, was Plinkert heute "Cocktailpartyeffekt" nennt.
Bereits die Hälfte der 70-jährigen Deutschen ist nach Angaben Plinkerts schwerhörig. Die meisten leiden auch unter Ohrgeräuschen. Schwerhörigkeit, so zitierte Plinkert wissenschaftliche Studien, kann üble Folgen für den Betroffenen haben: soziale Isolation, schnellerer geistiger Abbau, Depressionen, höheres Demenzrisiko. Das Verstummen der Welt bedeutet für Betroffene nicht nur Frustration, sondern lässt sie manchmal auch aggressiv werden. Wenn das Hören anstrengend werde, sei es Zeit, zu handeln, meinte der HNO-Experte: "Wir sollten unsere Hirnleistung für andere Aufgaben freihalten."
Dass Lärm bei der Arbeit und in der Freizeit ein Risikofaktor für Schwerhörigkeit ist, weiß man. Aber auch, dass schon eine Spielzeugpistole und ein Knackfrosch einen Lärm von mehr als 100 Dezibel verursachen? Außerdem: Was Herz und Gefäße beeinträchtigt - Rauchen, Diabetes, Bluthochdruck -, kann genauso das Hörvermögen beeinflussen. Selbst Medikamente können laut Plinkert das Ohr schädigen, etwa Chemotherapeutika gegen Krebs, entwässernde Medikamente, ein Antibiotikum oder eine starke Dosis ASS.
Der Ohren-Experte beschrieb, wie die Sprachaudiogramme von Patienten interpretiert werden, und welche Hörsysteme existieren, die im Ohr (geeignet für maximal mittlere Hörverluste) oder hinter dem Ohr (hier wird der Schall über ein Schlauchsystem in den äußeren Gehörgang geleitet) platziert werden - bis hin zu implantierbaren Hörsystemen: "Wenn die inneren Hörsinneszellen nicht mehr vorhanden sind, kann man so das Hörvermögen noch verstärken."
Beethoven unterhielt sich da nur noch schriftlich, seine Konversationshefte bezeugen es. "Heute könnte man ihm mit einer Innenohrprothese, einem Cochlea-Implantat, helfen", sagte Plinkert. Dabei wird eine Elektrode in die Hörschnecke eingeführt, die den Hörnerv stimuliert. Das Hörenlernen müssen Erwachsene damit natürlich erst mal über Monate trainieren. Babys allerdings, die schwerhörig oder taub auf die Welt kommen - eines von tausend -, entwickeln mit einem solchen Implantat ihre Sprache ganz normal und können in die Regelschule gehen. Wichtig ist deshalb das Hörscreening in den ersten Lebenstagen, das seit 2009 routinemäßig durchgeführt wird.
Dass Schwerhörigkeit und Hörsysteme viele Fragen aufwerfen, wurde nach dem Vortrag von Prof. Peter Plinkert deutlich. Selten nutzten so viele Zuhörer die Gelegenheit, den anwesenden Experten, vom Mediziner und Physiker bis zur Logopädin, noch ganz persönliche Fragen zu stellen.