Von Sebastian Riemer
4. April 1980: Romani Rose betritt mit zwölf Mistreitern das ehemalige Konzentrationslager Dachau. Acht Tage lang bleiben sie dort, ohne zu essen. Mit dem Hungerstreik machen sie weltweit auf ein unglaubliches Unrecht aufmerksam: Mehr als drei Jahrzehnte gibt es die Bundesrepublik Deutschland nun schon - doch die Sinti und Roma warten noch immer darauf, dass die Verbrechen an ihrer Minderheit im Dritten Reich als Völkermord anerkannt werden.
Auf den Tag genau 27 Jahre später, 4. April 2017: Romani Rose sitzt an einem Tisch im Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma - und ringt um Worte, denn der 70-Jährige steht nicht gerne im Mittelpunkt. Gerade hat Behar Heinemann ihr Buch über ihn vorgestellt: "Romani Rose - ein Leben für die Menschenrechte". Der Band ist die erste umfassende Dokumentation von Roses Leben und Werk - bei ihm ist beides ohnehin untrennbar verbunden. Oder wie die Autorin in ihrem Vorwort schreibt: "Er ist die Idee, für die er steht."
Behar Heinemann wurde im Kosovo geboren, ist selbst Romni und kennt Rose seit über 20 Jahren. Sie weiß genau, wie wichtig dieser Mann für die Rechte ihrer Minderheit in Deutschland und Europa war und ist. "Es ist mir ein Herzensanliegen, Dir, lieber Romani, mit diesem Buch eine dauerhafte Hommage mit Breitenwirkung zuteilwerden zu lassen, für das, was Du für die Sinti und Roma erreicht hast", sagt sie.
Ihr Buch, das am heutigen Mittwoch in den Buchhandel kommt, zeichnet mit klugen, empathischen Texten und vielen historischen Fotos den jahrzehntelangen Einsatz Roses nach - und dringt so auch zum Menschen hinter dem Bürgerrechtler, Aktivisten und Politiker vor. Dem Menschen, der 13 Familienmitglieder im "Porajmos", dem Völkermord an den europäischen Roma, verlor. Dem Menschen, der nur gut 100 Tage nach Ende des Dritten Reiches in Heidelberg zur Welt kam. Der als junger Mann, als der deutsche Staat seine Minderheit weiter diskriminierte, eine Identität suchte. Der sie fand in seinem Kampf für Bürgerrechte - und in Heidelberg. Und der heute von Herzen der deutschen Fußballnationalmannschaft die Daumen drückt.
Jeder Meilenstein, der seit dem Hungerstreik von Dachau für die Gleichberechtigung der Sinti und Roma erreicht wurde, wäre ohne Rose undenkbar. Als im Februar 1982 der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg gegründet wird, übernimmt er den Vorsitz. Einen Monat später reist er mit einer Delegation nach Bonn. Und durch Bundeskanzler Helmut Schmidt erkennt der deutsche Staat - endlich - ganz offiziell die NS-Verbrechen an der Minderheit als Völkermord an.
Mit dem Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, das dieses Jahr 20-jähriges Jubiläum feiert, hat Rose auch seine Heimatstadt geprägt. Und dafür zeigte sich OB Eckart Würzner, der das Vorwort des Buches geschrieben hat, gestern dankbar: "Dieses Buch würdigt eine Persönlichkeit dieser Stadt, auf die wir stolz sind."
Rose, bescheiden wie immer, sah sich "auf einen Sockel gestellt, auf dem ich nicht stehen sollte". Und dann erzählte er eine ganz persönliche Anekdote: "Wenn ich sehe, wie meine Söhne beim Fußball die Deutschland-Fahne raushängen, macht mich das glücklich. Dieses Selbstverständnis, dazuzugehören zu diesem Land, das hatte ich als junger Mann nicht." Behar Heinemanns Buch zeigt eindrucksvoll, welch steiniger Weg es war, den Romani Rose ging - auch für seine sechs Kinder.
Info: Behar Heinemann: "Romani Rose - ein Leben für die Menschenrechte", Danube Books, 228 Seiten, 20 Euro.