Seit einem Monat kümmert sich Christina Reiß um die Anliegen von Menschen mit Behinderung.
sawe. Die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen zieht sich wie ein roter Faden durch ihren Lebenslauf: Seit Anfang des Jahres ist Christina Reiß die Behindertenbeauftragte der Stadt. Schon seit 1999 ist die Soziologin in verschiedenen Einrichtungen und Projekten für die Belange von Menschen mit Behinderungen tätig. Bei der Stadt ist sie nun mit ganz verschiedenen Aufgaben betreut: So berät die 46-Jährige Betroffene und deren Angehörige, sie ist aber auch dafür verantwortlich, die Stadtverwaltung zu sensibilisieren. So soll es bald selbstverständlich sein, bei Bürgerversammlungen neben der baulichen Barrierefreiheit auch auf Dinge wie Induktionshöranlagen oder Informationen in Leichter Sprache zu achten und bei Bedarf Gebärdendolmetscher zu organisieren. Die Behindertenbeauftragte ist außerdem das Bindeglied zwischen Verwaltung und Gesellschaft.
Frau Reiß, wo sehen Sie noch bauliche Barrieren in Heidelberg?
Für Menschen mit eingeschränkter Mobilität sind durch bauliche Gegebenheiten viele Dinge nicht zugänglich. Egal in welchem Bereich, viele kleine Läden sind beispielsweise nur durch Treppen zu erreichen. Außerdem sind Arztpraxen oft nicht barrierefrei, das heißt, Betroffene haben keine freie Arztwahl. Sie sind oft auch vom Vereinsleben ausgeschlossen, wenn Parteien beispielsweise in Räumen tagen, die für Rollstuhlfahrer nicht zugänglich sind. Bauliche Barrierefreiheit ist die Voraussetzung für Inklusion.
Wie könnte man diese Barrieren beheben? Gibt es schon konkrete Pläne?
Wenn gehbehinderte Menschen durch ebenerdige Zugänge, Aufzüge und elektrische Türen überall freien Zugang hätten, dann wären die Barrieren behoben. Das ist aber utopisch, baulich und finanziell lässt sich das nicht umsetzen. Ein realistisches Ziel ist, Geschäfte mit mobilen Rampen auszustatten, die ein Geschäft bei Bedarf mit wenigen Handgriffen für einen Menschen im Rollstuhl barrierefrei machen. Ebenso sollen Broschüren, zum Beispiel von Geschäften oder Restaurants, mit Hinweisen versehen werden, inwieweit die Räume barrierefrei zugänglich sind. Für Touristen soll bereits im Internet einsehbar sein, welche Stationen in Heidelberg mit dem Rollstuhl besucht werden können.
Wo kann sich Heidelberg noch etwas von anderen Städten abgucken?
In Speyer gibt es in der Innenstadt neben dem Kopfsteinpflaster einen Streifen mit Steinplatten, auf denen Rollstuhlfahrer, aber auch alle anderen super fahren können. Außerdem gibt es dort spezielle Stadtführungen für Menschen mit Behinderungen. Dafür haben wir in Heidelberg Führungen in "Leichter" Sprache, sodass sie etwa auch Menschen mit leichter geistiger Behinderung oder nicht so guten Deutschkenntnissen verstehen können. In vielen Städten gibt es auch Modelle von Sehenswürdigkeiten für Blinde, die sie erfühlen können. Auf dem Schloss wäre das schön. Und natürlich gibt es in vielen Städten, zum Beispiel in Schwetzingen, besagte mobile Rampen.
Stimmen Sie mit dem Satz überein: "Hilfsbereitschaft gleicht Barrieren aus"?
Da muss man auf jeden Fall differenzieren. Es gibt viele Leute, die wollen nicht ständig auf fremde Hilfe angewiesen sein. Die sagen: "Ich möchte mich frei bewegen, wie alle anderen auch." Das ist ein zweischneidiges Schwert. Im Grunde wollen viele, dass man ihnen nur dann hilft, wenn sie es auch brauchen. Aber um fremde Hilfe bitten ist auch nicht ideal. Meistens resultiert daraus, dass man dann zum Beispiel ein Lokal nicht besucht.
Gibt es etwas, das Ihnen als neue Behindertenbeauftragte in der Stadt besonders am Herzen liegt?
Für mich ist es das Wichtigste, Leuten, die nicht betroffen sind, klar zu machen: Es kann sehr schnell gehen. Ich will damit niemandem Angst machen, aber die meisten Behinderungen werden im Laufe des Lebens erworben. Ich möchte, dass sich die Menschen fragen: "Was würde ich in der Situation wollen?" Man könnte auch sagen: Augen auf, Mund auf, Herz auf.