Judita ist von ihrer Pflegemutter Veronika Stolz aus dem Präsenzunterricht abgemeldet worden, weil ihr das Ansteckungsrisiko für die junge Frau zu groß erscheint. Foto: privat
Von Barbara Nolten-Casado
Eberbach. "Nach den Ferien wird erst einmal zu Hause gelernt", war am Samstag in unserer Zeitung zu lesen. Eine Schulart betrifft dies jedoch nicht: Von der Schulschließung ganz ausgenommen sind trotz hoher Coronavirus-Inzidenzen Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) mit den Förderschwerpunkten geistige sowie körperliche und motorische Entwicklung. "Sie können den Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen unter Beachtung der Hygienevorgaben fortführen", heißt es dazu im entsprechenden Schreiben des Kultusministeriums von Baden-Württemberg an die Schulen.
"Ein Unding" und "absolut unverständlich" lautete die erste Reaktion von Rainer und Veronika Stolz aus Waldbrunn-Oberdielbach, als der Klassenlehrer ihrer Pflegetochter ihnen am vergangenen Freitag mitteilte, Judita könne ab Montag wieder zur Schule kommen.
Die 23-Jährige leidet an Epilepsie und Autismus und besuchte vor dem Ausbruch der Corona-Epidemie die "Outdoorklasse" der Schwarzbach Schule der Johannes-Diakonie in Schwarzach.
In dieser Klasse liegt das Augenmerk darauf, Schülern "mit besonderen Bedürfnissen" durch die Arbeit mit Tieren auf der der Schule angegliederten Jugendfarm emotional-soziales Lernen zu ermöglichen. Doch seit März nutzt Familie Stolz die nach wie vor geltende Möglichkeit, ihre Tochter vom Präsenzunterricht abzumelden. Denn: Judita ist Hochrisikopatientin und kann zudem Abstands- und Hygienevorgaben nicht einhalten.
Zwar verfüge die Schule über ein "tolles Konzept", das jedoch durch die Bussituation wieder zunichtegemacht werde. "Der Kleinbus ist voll besetzt. Die Kinder sabbern, niesen, spucken, ziehen ihre Masken ab." Bei allem Verständnis für Eltern, die sich bei der Betreuung ihrer "besonderen" Kinder vor schwer zu bewältigenden Herausforderungen sehen, gibt Stolz doch zu bedenken, dass "unsere ‚Besonderen‘ zwar die Möglichkeit bekommen sollen, schneller wieder in die Schule zu können, sie dabei aber eher die Chance bekommen, sich das Virus schneller zu holen". Natürlich sei der Wegfall des Schulalltags eine Riesenumstellung für ihre Tochter gewesen, sagt Veronika Stolz. Besonders vermisse sie den Umgang mit den Tieren. Doch insgesamt nehme sie die Situation gut auf. Was die Mutter besonders beklagt: "Es wird uns nichts transparent weitergegeben. Da ist keine Glaubwürdigkeit, sondern nur ‚Nicht Verstehen‘." Was sie sich von der Politik wünscht? "Ein Konzept für den Transport unserer Kinder. Und dass die Verantwortlichen bei dem, was sie entscheiden, auch die Konsequenzen bedenken." Auch Juditas Klassenlehrer Jürgen Burkhard zeigt sich "überrascht" von der von Kultusministerin Susanne Eisenmann beschlossenen Sonderregelung für SBBZ. Viele Schüler der Schwarzbach Schule gehörten aufgrund von Vorerkrankungen zur Risikogruppe. Und da Abstands- und Hygieneregeln von vielen kaum eingehalten werden könnten, sehe er sowohl die Schüler als auch sich selbst einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Zwar habe man an der Schule gute Konzepte entwickelt. So würden etwa externe und interne (auf dem Schwarzacher Hof lebende) Schüler getrennt unterrichtet, "damit die Externen den Internen das Virus nicht mitbringen". Doch die Bemühungen der Schule würden nicht zuletzt durch die unbefriedigende Bussituation zumindest teilweise wieder ad absurdum geführt. Die Folge: Während die Internen zum Unterricht kämen, hätten in seiner Klasse alle Eltern externer Schüler ihre Kinder vom Präsenzunterricht abgemeldet.
Mangelnden Schutz der Lehrkräfte etwa durch fehlende Schutzausrüstung sieht der Schulleiter der Schwarzbach Schule, Steven Reres, auch in den drei Berufsschulklassen im Eberbacher Bildungs- und Arbeitszentrum (EBAZ) gegeben. "Abstandhalten ist bei uns vielfach nicht möglich", so Reres, der für mehr Fernunterricht und, falls erforderlich, eine Notbetreuung "wie an anderen Schulen auch" plädiert.
Um seinen Unmut über die Ausnahmeregelung kundzutun, hat er, wie viele seiner Kollegen, eine Online-Petition unterzeichnet, in der sich bis Montagmittag bereits mehr als 9000 Mitarbeiter von SBBZ mit ihrem Unverständnis an die Kultusministerin gewandt haben.
Darin werden unter anderem angemessene Schutzausrüstung für die Mitarbeiter, Schnelltests, Beförderung der Schüler in "Kohorten", Möglichkeiten für Wechselunterricht und eine schnelle Impfung angemahnt.
In einer ersten Reaktion vom vergangenen Samstag verwies das Kultusministerium darauf, dass bei einem Wegfall des Präsenzunterrichts Eltern von behinderten Kindern vor enormen Herausforderungen stünden, die sie in der Regel nicht allein schultern könnten. Ein weiterer Grund sei, dass Kinder und Jugendliche mit einer Beeinträchtigung der geistigen oder motorisch-körperlichen Entwicklung noch mehr als andere auf klare und regelmäßige Strukturen in ihrem Alltag angewiesen seien.