Von Rüdiger Busch
Buchen. Sie stehen fast jeden Tag in der Zeitung: die Bürgermeister unserer Städte und Gemeinden. Aber wie ticken sie wirklich? Was denkt und fühlt der Mensch hinter der Amtsperson? Welche Pläne und Ziele haben sie persönlich und für ihre Kommune? Diese Fragen möchten wir beantworten. Zum Auftakt haben wir Buchens Bürgermeister Roland Burger besucht. Der 58-Jährige ist seit fast drei Jahrzehnten Stadtoberhaupt – erst in Osterburken und seit 2006 lenkt er die Geschicke seiner Heimatstadt Buchen.
Wie hat der Mensch Roland Burger die Monate des coronabedingten Ausnahmezustandes erlebt?
Wie für so viele andere auch bedeutete Corona für meine Familie und mich eine fühlbare Zäsur. Soziale Kontakte wurden massiv zurückgefahren. Auch zu meinen hochbetagten Eltern hatten wir zunächst nur telefonisch, später nur punktuell Kontakt. Bei der Hochzeit meines Sohnes Moritz Anfang Mai in München haben nicht wie geplant 70 Gäste mitgefeiert; stattdessen hat das Brautpaar mit den Trauzeugen und den Brauteltern einen schlichten Kaffee getrunken. Allerdings soll die Feier im nächsten Jahr nachgeholt werden.
... und wie ist es dem Bürgermeister Roland Burger ergangen?
Der Bürgermeister hatte erstmals kaum externe Termine. Das war in dieser Form etwas ganz Neues und Ungewohntes. Auch die Abende und die Wochenenden waren terminfrei. Dafür gab es intern umso mehr zu tun, da wir die Vorgaben des Bundes und des Landes besprechen und dann um- und durchsetzen mussten. Unser Ziel war es, zu gewährleisten, dass die Krisenfolgen für die Bevölkerung erträglich blieben. Dazu mussten wir die Abläufe in der Stadtverwaltung, den Kindergärten, Schulen und öffentlichen Einrichtungen so anpassen, dass Risiken minimiert wurden.
Finanziell scheint Buchen bislang gut durch die Krise zu kommen. Droht im kommenden Jahr das böse Erwachen?
Nachdem seit kurzem geklärt ist, dass die Bundes- und die Landesregierung ein breites finanzielles Netz gespannt haben, rechnen wir aktuell mit überschaubaren Einnahmeausfällen. So viel Lob muss sein: Das ist eine bessere Begleitung von Bund und Land als erwartet. Natürlich weiß niemand, wie es im nächsten Jahr mit Corona weitergeht. Wir sind aber dank unserer Rücklagen so aufgestellt, dass wir auch zwei oder drei schwächere Jahre gut überstehen können. Das ist das Ergebnis einer vorausschauenden Kommunalpolitik, aber auch von guten infrastrukturellen Voraussetzungen, die wir gemeinsam schaffen konnten. Dafür, dass wir unser "Schiff" stets gut und überlegt steuern konnten, bin ich dem Gemeinderat und meinen Kollegen im Rathaus, die das alles mitgetragen und umgesetzt haben, sehr dankbar.
Buchens Wirtschaft ist geprägt von einer Vielzahl mittelständischer Unternehmen. Wie kommen diese mit den Folgen der Krise zurecht?
Das lässt sich im Moment nur sehr schwer einschätzen und ist branchenspezifisch sehr unterschiedlich. Die Daten zeigen, dass die Unternehmen bemüht sind, ihre Fachkräfte zu halten. Dabei hilft, dass der Staat massiv gegen die Krise kämpft, großzügig und schnell Unternehmenskredite oder Zuschüsse gewährt und vor allen auch die Regeln für die Kurzarbeit angepasst hat. Im Landkreis waren bis Juli über 20.000 Menschen für die Kurzarbeit angemeldet. Die Arbeitslosenquote im Bereich der Geschäftsstelle Buchen liegt bei 4,1 Prozent. Das ist fast die Hälfte mehr als im Vergleichsmonat des Vorjahres, aber wir sind immer noch nahe der Vollbeschäftigung. Zum Vergleich: Zu Beginn der Finanzkrise 2009 lag die Quote bei knapp 5 Prozent.
Weg von den Finanzen zu den gesellschaftlichen Folgen: kein Schützenmarkt, vielleicht kein Weihnachtsmarkt und möglicherweise auch keine Fastnacht – wie stark verändert Corona das Leben in Buchen?
Unser soziales Leben, das nicht unerheblich von unseren vielen Vereinen gestaltet wird, wird massiv von der Krise getroffen. Da ich sowohl beruflich, aber auch privat gerne auf "vielen Hochzeiten tanze", erlebe ich diese unfreiwillige Entschleunigung des öffentlichen Lebens sehr bewusst. Sie führt nicht zuletzt zur sozialen Isolation, gerade auch bei vielen älteren Mitbürgern, die nicht mehr im Beruf stehen. Umso mehr freue ich mich, dass es durch gewisse Lockerungen zumindest wieder eine eingeschränkte Normalität gibt.
Die rege Bautätigkeit in den Neubaugebieten wie in der „Bremmwiese“. Foto: BuschFast in jeder Kommune werden derzeit neue Baugebiete erschlossen. Braucht es beim Blick auf die Altersstruktur in vielen Wohnvierteln überhaupt noch neue Bauplätze?
Über 270 Bewerbungen – darunter sehr viele junger Familien für einen Bauplatz im künftigen Baugebiet "Marienhöhe" beantworten diese Frage eindeutig. Wenn wir jungen Menschen, die hier mit ihrer Familie leben wollen, eine langfristige Perspektive geben und damit an Buchen binden wollen, müssen wir ihnen auch die Möglichkeit geben, Wohneigentum zu schaffen. Und wenn das nicht die Altimmobilie, sondern das neue Häuschen mit Garten sein soll, wollen wir die Möglichkeit bieten, diesen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen.
Auch in Buchens Innenstadt nimmt der Leerstand zu: Wie möchten Sie dieser Entwicklung begegnen?
Die Großbaustelle Burghardt-Gymnasium. Foto: BuschLeider ist der Einkauf im Internet ein Megatrend, den die Coronakrise zusätzlich angeheizt hat. Dazu kommen große Einkaufscenter auf der grünen Wiese und in großen Städten. Wir halten dagegen, indem wir im Rahmen der Stadtsanierung selbst investieren und private Investitionen in der Altstadt fördern. Die bauliche Authentizität unserer Altstadt schafft ein besonderes Flair. Wir versuchen, gute äußere Rahmenbedingungen für den Einzelhandel zu schaffen. Die Fußgängerzone wird aktuell neugestaltet. Zudem betreiben wir in Zusammenarbeit mit der Aktivgemeinschaft ein engagiertes Innenstadtmarketing. Letztlich reduziert sich das Problem aber auf die schlichte Frage, ob die Bevölkerung bereit ist, in der Innenstadt einzukaufen. Die Kunden haben die weitere Entwicklung in der Hand.
Ein Dauerthema ist die Trockenheit. Was könnte helfen – außer für Regen zu beten?
Was wir tun können und müssen: gegen den Klimawandel arbeiten. Buchen hatte 2018 einen Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch von 119 Prozent. Wir müssen einen Waldumbau in den Blick nehmen und in ausgewählten Bereichen künftig mit klimaangepassten Bäumen arbeiten. In Buchen tun wir das bereits, indem wir Versuchspflanzungen mit der Atlaszeder machen. Die Natur wird sich letztlich anpassen und natürlich auch verändern. Bei allen Problemen geht es uns im Odenwald aktuell aber merklich besser als anderswo im Land. Unsere Region wurde lange Zeit als "Badisch Sibirien" tituliert, unter anderem wegen unseres eher rauen Klimas. Heute ist das unser Vorteil. Deshalb sind wir, zumindest im Moment, kein Hotspot wie zum Beispiel der Südschwarzwald.
Die Renaturierung der Morre, die Hochwasserschutz und Naturschutz miteinander verknüpft. Foto: BuschDerzeit läuft am Burghardt-Gymnasium das größte Bauvorhaben in der Geschichte der Stadt. Wie schätzen Sie die Bedeutung der Maßnahme ein, und lässt sich der Kostenrahmen von rund 23,4 Millionen Euro einhalten?
Die schulpolitischen Weichenstellungen der Landespolitik haben die Übergangsquote für alle weiterführenden Schulen massiv verschoben. Rund 50 Prozent aller Schüler gehen heute auf ein Gymnasium. Darauf haben wir mit einem großen Wurf reagiert, weil wir nicht einfach nur den erforderlichen Platz für den notwendig gewordenen fünften Zug schaffen wollten, sondern das in die Jahre gekommene BGB insgesamt in einen Neubauzustand und pädagogischen Bestzustand versetzen möchten. Ich hoffe natürlich, dass wir die Kosten halten können. Mittlerweile haben wir rund 75 Prozent der Gewerke vergeben. Abgerechnet wird bekanntlich zum Schluss, und beendet sein wird die Baustelle erst 2022.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für Buchen in den kommenden Jahren?
Ich glaube, wir können uns aktuell auf allen Zukunftsfeldern sehen lassen. Wir sind ein Mittelzentrum mit einer sehr guten Infrastruktur. Aber klar ist, dass uns nichts geschenkt wird. Wir haben immer um unsere Infrastruktur kämpfen müssen, und das wird so bleiben. Als Beispiel nenne ich das Krankenhaus, das unverzichtbar ist. Diese Einrichtung zu halten, erfordert einen Dauerkraftakt des Trägers bzw. – über die Kreisumlage – aller Kommunen im Landkreis. Hier standen wir schon zweimal mit dem Rücken an der Wand. Eine weitere Herausforderung ist der demographische Wandel. Immer mehr ältere Menschen leben in der Stadt. Wir versuchen, die Strukturen dafür anzupassen.
Neben qualifizierten ambulanten und stationären Angeboten gehört dazu eine neue Gemeinwesenarbeit – auch mit dem Ziel der Hilfe zur Selbsthilfe. Ein Beitrag dazu ist das Mehrgenerationenhaus. Gleichzeitig fehlt es dann, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, noch mehr an Fachkräften in vielen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft. Und auch die Digitalisierung wird unser Leben verändern. Wir dürfen uns auf diesem Zukunftsfeld nicht abhängen lassen, weil hier, wie in den meisten Veränderungen, auch Chancen liegen. Die müssen wir nutzen. Hieran arbeiten wir.
Sie sind seit fast 30 Jahren Bürgermeister – wie sehr hat sich das Amt in dieser Zeit gewandelt?
Obwohl ich viel unterwegs bin, bin ich heute für die Verwaltung so gut wie immer erreichbar. E-Mail und die neuen Medien haben meine Arbeit sehr verändert. Wir leben mehr denn je im Zeitalter der Kommunikation, in einer sehr schnell gewordenen Welt. Eine Entwicklung mit Licht und Schatten ... Vor 30 Jahren hatten wir keine PCs im Rathaus. Eingabegeräte für das Rechenzentrum, ein Schreibautomat mit Diskette und Schreibmaschinen dominierten die Arbeitsplätze in Osterburken.
In Buchen war es nicht anders. Das Internet war unbekannt. Es gab kein Handy. Junge Menschen können sich das heute nicht mal mehr vorstellen. Eine immer kürzer werdende Halbwertzeit des Wissens bzw. der Modernisierung prägt das Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Diese Entwicklung erfordert eine permanente Anpassung. Das hat den Arbeitsablauf und auch das Amt verändert. Geblieben und mir besonders wichtig ist der zentrale Kern der Aufgabe: die Sicherung einer guten Zukunft für die Stadt und die Menschen.
2022 endet ihre zweite Amtszeit. Werden Sie noch einmal antreten?
Meine Arbeit macht mir – allermeistens – viel Freude, weil ich gestalten kann, ein sehr breites und interessantes Aufgabenspektrum habe, immer wieder neue Erfahrungen machen, vielen Menschen begegnen und positive Weichenstellungen vornehmen darf. Und weil ich im Rathaus und im Gemeinderat mit Menschen arbeiten kann, die kompetent und motiviert mit mir am gleichen Strang ziehen. Sie erkennen die Tendenz, aber für die Beantwortung dieser Frage ist es 2020 noch zu früh.