Wiebke Dau-Schmidt vom Kino-Förderkreis im Gespräch mit den Zeitzeugen Rainer Müller (l.) und Andreas Hannß, der vor einer „DDR 2.0“ warnte. Foto: Dorn
Von Marco Partner
Hirschberg-Leutershausen. Es war ein Bruch, der mitten durch ein Land ging. Ein Riss, eine Trennlinie, die sich durch die Hauptstadt, durch Straßen, aber auch Freundschaften, Familien und Biografien zog. Geteiltes Land, geeintes Schicksal: In dem Dokumentarfilm "Bis an die Grenze" erzählen West-Berliner, wie sie den Mauerbau im Sommer 1961 erlebten. Am Samstagabend sitzen im Olympia-Kino auch einige Zeitzeugen auf den roten Sesseln. Und zwei von ihnen, die Hirschberger Rainer Müller und Andreas Hannß, berichten im Anschluss, wie sie die Zeit der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) erlebten.
"Am Anfang war das Ende", sagt eine Stimme zu Beginn aus dem Off. In Schwarz-Weiß-Bildern flimmern Aufnahmen aus den 1940er und 50er Jahren über die Leinwand. Berlin als Ruinenlandschaft, Trümmerfrauen die Hand anlegen, Bürger, die wieder etwas Ordnung in das durch den Zweiten Weltkrieg verursachte Chaos bringen wollen. Das wollen aber auch die Großmächte: Und so wird Berlin zum Schauplatz für das Kräftemessen zwischen Ost und West, zwischen der Sowjetunion und den USA.
Doch Versorgungsprobleme und Misswirtschaft in der Ostzone treiben Menschen in die Flucht. Bis 1961 sollen es drei Millionen Republikflüchtige sein. Um der Auswanderungswelle Herr zu werden, lässt die UdSSR in einer Art Nacht- und Nebelaktion am 13. August 1961 Straßen und Bezirke hermetisch abriegeln. Noch sind es zumeist Stacheldrahtzäune, dann festes Mauerwerk. Und nicht nur die Amateurfilmer, die mit ihren Kameras den historischen Moment festhalten, trauen ihren Augen nicht. "Wir dachten, es wird nur eine mehrtägige Blockade, eine politische Spinnerei", berichtet einer. Tatsächlich soll die insgesamt 43 Kilometer lange Mauer plötzlich jahrzehntelang Welten und auch Familien trennen.
Einer, der noch während des Mauerbaus "rüber machte", ist Rainer Müller. 1942 wurde er in Bitterfeld geboren, später wuchs er in Leipzig auf. Als Sänger im Chor konnte er sich dank Konzertauftritten sein eigenes Bild von Ost und West machen.
"Der Fluchtgrund lag gar nicht an den Lebensumständen, sondern im Studienwunsch", verrät er. Da ihm der Traum des Medizinstudiums verwehrt blieb, reiste er im September 1961 mit dem Zug nach Berlin, unter dem Vorwand, seine Tante zu besuchen.
18 Jahre war er jung – und fand sich bald in einem Notaufnahmelager in Darmstadt wieder. Statt Studium musste er noch mal die Schulbank drücken, dann kamen seine Eltern nach. In einem Lager in Langen schlief er auf einem Klappbett, studierte in Frankfurt und Heidelberg Medizin, und eröffnete schließlich eine Praxis in Seckenheim. "Wohl dem, der in ,Hause’ wohnt", sagt er über seinen langen Weg und seine liebgewonnene, neue Heimat Leutershausen.
Als 1989 die Mauer fiel, besuchte Andreas Hannß die siebte Klasse in Mecklenburg. Mit der Euphorie ob der Wende war das bei seiner Familie so eine Sache, denn der Vater war ein Offizier bei der Nationalen Volksarmee. "Es war fraglich, wie es weitergeht. Es herrschten gewisse Existenzängste, wir standen vor einer ungewissen Zukunft", erinnert er sich. Letztlich kamen seine Eltern auch im vereinten Deutschland beruflich auf die Füße, auch ihn zog es nach Darmstadt – später nach Großsachsen.
"Ich habe mich nicht wie in einem Käfig gefühlt, ich habe keine Repressalien erlebt, aber in meiner Kindheit ja auch eine privilegierte Stellung genießen dürfen", sagt er über seine erlebte DDR-Zeit.
Knapp 30 Jahre später wünscht er sich im täglichen Leben mehr Mit- statt Nebeneinander und entdeckt eine erschreckende Parallele. "Was die Staatssicherheit damals versucht hat, geben die Menschen heute in der digitalen Welt freiwillig preis. Facebook und Co., das ist für mich DDR 2.0", warnt er – und erntet dafür im gut besuchten Kino-Saal Applaus.