Gräben zuschütten statt Häuser einreißen
Fusion schlecht verkraftet - Es drohen neue Verluste - Aber auch Chancen

Für nur noch 4500 Gemeindeglieder, Tendenz fallend, sind die Bauten der Evangelischen Gemeinde in der Weststadt zu groß. Das gilt auch für das evangelische Gemeindehaus. Einen möglichen Abriss bezeichnen prominente Gemeindeglieder indes als "Sünde". Fotos: Kreutzer
Von Günther Grosch
Weinheim. Die Evangelische Gemeinde in der Weststadt, die Gemeinde an der Peterskirche und die in der Innenstadt gelegene Johannisgemeinde sind in diesen Tagen turnusmäßige Anlaufstationen einer gut 30 Köpfe zählenden Visitationskommission des Bezirkskirchenrats. Für eine vorläufige Zwischenbilanz fanden am Wochenende in den drei Kirchengemeinden jeweils getrennte Gemeindeversammlungen statt.
Unter der Fragestellung "Was läuft gut?" "Woran krankt es?", "Was ist nicht erkennbar?" und "Was brauchen wir noch?" sollten die Zusammenkünfte den Gemeindemitgliedern Gelegenheit geben, Lob auszusprechen und Anregungen zu geben, aber auch Bedürfnisse, Sorgen, Nöte und Wünsche zu äußern, so der Schriesheimer Bezirkskirchenrat Thomas Rufer.
Mit Siegfried Rehberger aus Dossenheim und den Pfarrerinnen Suse Best (Schriesheim) sowie Franziska Stoellger (Heddesheim) visitiert Rufer die ehemalige Markusgemeinde und heutige "Evangelische Gemeinde in der Weststadt". Diese zählt rund 4500 Gläubige.
Erster Eindruck des Quartetts: Auch mehr als fünf Jahre nach der Verschmelzung von Markus- und Lukas-Gemeinde sowie dem Abriss des Gotteshauses von Lukas sind bei vielen der "Zwangsfusionierten" nach wie vor Verärgerung und anhaltende Irritationen spürbar.
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Ablesbar sei dies unter anderem auch an der gegenüber anderen Kirchengemeinden "überproportional hohen Zahl von Kirchenaustritten", so Rufer. Die Gemeinde in der Weststadt zähle in dieser Hinsicht zu den "Spitzenreitern". Hinzu kommen bauliche Herausforderungen.
Das erst vor 30 Jahren errichtete Gemeindehaus mit großem Saal, Kindergarten und Pfarrhaus sei, gemessen an der Zahl der Gläubigen, zu groß geworden, sagt die Landeskirche. So steht die Kirchengemeinde vor der Entscheidung: Entweder sie lässt Gemeindehaus und Saal um 60 Prozent rückbauen - oder es kommt zu Abriss und dann kleinerem Neubau.
Auf der anderen Seite wünscht sich die Stadt Weinheim eine Vergrößerung des Markus-Kindergartens von zwei auf vier Gruppen, um dem steigenden Bedarf an Kindergartenplätzen nachzukommen. Ein Architektenwettbewerb wurde mittlerweile ausgelobt und zwölf Büros angeschrieben, informierte Pfarrerin Simone Britsch über den aktuellen Stand. Ende Juni sollen die Ergebnisse des Wettbewerbs öffentlich vorgestellt werden.
Trotz aller Vorbehalte und der nicht zu leugnenden Schwierigkeiten gaben sich die Mitglieder der Kommission optimistisch. Rufer: "Die fusionierte Gemeinde lebt und kann wachsen." Dies gelte nicht zuletzt mit Blick auf ein neues Miteinander und das geforderte, neue "Gemeinschaft stiftende" Gemeindehaus. Darin liege keine Bedrohung, sondern die "Chance des Zusammenwachsens".

Simone Britsch
Dieses leide vor allem unter dem "verklärten Blick zurück", so ein Gemeindemitglied. Dabei sei auch früher "nicht alles rundgelaufen". Mit der Fusion sei jetzt eine Kirchengemeinde entstanden, die nicht zuletzt von ihrer Größe her eine vernünftige Arbeit erlaubt. Ihm scheine, "je älter wir werden, umso besser war früher", pflichtete der ehemalige Dekan Hans-Walter Blöchle bei.
Mit Pfarrerin Britsch und Pfarrer Friedel Goetz gebe es nun zwei neue Geistliche, die Gräben zuzuschütten können. "Keine Altlasten aufwühlen", stattdessen auch im Namen der eigenen Kinder und Enkel den Blick nach vorne zu richten und Veränderung als Chance zu begreifen, dazu riet auch Britsch. Niemand könne das Rad der Zeit zurückdrehen.
Nicht nur der Abriss des Gemeindezentrums wäre eine Sünde, legte dagegen Gerhard Mackert den Finger in noch eine andere Wunde: den mit "offener Flanke und freiliegender Bewehrung" immer brüchiger werdenden Markusturm. An vielen Stellen sei sichtbar, so der Statiker und Fraktionschef der Freien Wähler im politischen Gemeinderat, dass armgroße Betonteile ausgebrochen sind und der darunterliegende Stahl bereits verrostet ist. "Warum hat man das nicht repariert, als der Turm vier Jahre lang eingerüstet war?", so Mackerts geharnischte Nachfrage, ob der Turm ebenfalls "zum Abbruch freigegeben" sei.
Das damalige mit Planen versehene Gerüst sei nicht zur Sanierung des Turms, sondern lediglich zum Schutz von Fußgängern und Autofahrern erstellt worden, beschied Jörn zur Brügge. Beim Rückbau des Gerüsts habe man dann schlicht und einfach vergessen, die schon damals maroden Stellen zu sanieren. Im Übrigen sei auch der Turm im Ideenteil des Architektenwettbewerbs enthalten: "Er ist noch nicht aufgegeben."
Mackert wollte sich damit nicht zufriedengeben. Wenn die Sanierung nicht schnell in Angriff genommen werde und die Bewehrung erst einmal durchgerostet sei, "ist es zu spät".



