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20 Jahre Heidelberger Bildverarbeitungsforum: Die Zukunft hat längst begonnen

Es geht künftig um neue Dimensionen der technischen Entwicklung und Anwendung – In 10 Jahren wird man nicht mehr selbst Auto fahren

17.04.2016 UPDATE: 20.04.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 46 Sekunden

Die drei Gründerväter des Heidelberger Bildverarbeitungsforums (v.l.): Bernd Jähne, Robert Massen und Rolf-Jürgen Ahlers. Foto: Friederike Hentschel

Von Heribert Vogt

"Technologisch ganz tolle Dinge" sind zukünftig weniger zu erwarten als vielmehr neue Anwendungen bereits existierender Errungenschaften, stellte Peter Seitz, Professor für Optoelektronik in Lausanne, beim 20-Jahr-Jubiläum des Heidelberger Bildverarbeitungsforums im Kirchhoff-Institut für Physik fest. Demnach wird man in zehn Jahren nicht mehr selbst Auto fahren, sondern gefahren werden. Dazu ist das Auto dann durch entsprechende Schwarzweiß-, Farbbild-, 3D- und Infrarotsensoren (bei Nachtfahrten) in der Lage.

Auch die Essenskamera wird Seitz zufolge kommen: In der Küche oder auf dem Smartphone installiert, meldet sie Eigenschaften der Nahrungsmittel. Und wenn schon Essen und Trinken gescannt werden können, dann auch die Gesundheit. Etwa die Atemluft des Menschen lässt Rückschlüsse auf seinen Gesundheitszustand zu. Ein solches Gerät könnte ebenfalls im Smartphone eingebaut sein. Seitz‘ Resümee: "Mit Bildsensoren kann man sehr viel anfangen."

Dazu verwies er in seinem historischen Aufriss "Vom Filmkorn zum Pixel … und dann? Halbleiterbildsensorik im Wandel der Zeit" auf die explodierende Entwicklung der Silizium-Mikroelektronik: "Weltweit werden acht Billionen Transistoren pro Sekunde produziert." Und mit ihnen werden auch Sensoren hergestellt, im Jahr 2015 waren es über 3 Milliarden Bildsensoren. Seitz weiter: "Derzeit werden eine Milliarde Pixel pro Sekunde produziert und konsumiert. Die Mikroelektronik beruht darauf, dass man immer mehr Pixel, immer mehr Transistoren immer kleiner und immer zahlreicher herstellen kann. Alle vier Jahre halbiert sich die kleinste Einheit." Und davon profitieren die Bildsensoren: In der westlichen Welt entfallen heute auf jeden Menschen drei Bildsensoren, etwa in Smartphones oder Kameras.

Diese Ausführungen skizzieren das dynamische Umfeld des Heidelberger Bildverarbeitungsforums, das sich der Weiterbildung und dem Austausch zwischen Forschern und Anwendern widmet. Zu seinem 20-jährigen Bestehen stand die nunmehr 61. Ausgabe des Forums unter dem Leitthema "Erfolge, Defizite und Zukunftsthemen der Bildverarbeitung". Dabei ging es etwa um Halbleiterbildsensorik, computerbasierte Bildaufnahmetechniken oder bildgebende 3D-Tech-nologien. Unter der Leitung von Prof. Bernd Jähne, koordinierender Direktor des Heidelberg Collaboratory for Image Processing (HCI) am Interdisziplinären Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen (IWR), beschäftigten sich die rund 250 Teilnehmer mit Fortschritten und zentralen Anwendungsfeldern in der industriellen Praxis, aber auch mit ungelösten Problemen der digitalen Bildbearbeitung sowie ihrer Nutzung in Wissenschaft und Technik.

Für die Bildverarbeitungsindustrie überbrachte Dr. Wolfgang Niehsen von der Robert Bosch GmbH die Gratulation zum Jubiläum des "herausragenden" Heidelberger Forums: "Aus der Sicht der Industrie stellen Bildverarbeitungsthemen heute eine Schlüsselkomponente für zahlreiche Anwendungen wie Fahrerassistenz, autonomes Fahren, Sicherheitsüberwachungstechnik, Robotik, Automatisierungstechnik oder auch Medizintechnik dar." Die Industrie muss im globalen Wettbewerb für all diese Anwendungsbereiche immer komplexer werdende vernetzte Systeme, Lösungen und Produkte in zunehmend kürzeren Zeitintervallen entwickeln und produzieren. Das erfordert einen vollständigen Überblick über die aktuellen Trends der Bildverarbeitung. Niehsen dazu: "Das Forum hilft, die Lücke zwischen Theorie und Praxis zu schließen."

Auch Rektor Bernhard Eitel unterstrich das produktive Wirken des Bildverarbeitungsforums, das seine Wurzeln im Heidelberger Institut für Umweltphysik hat. Längst findet das Industry on Campus-Projekt der Universität im Zusammenspiel der Hochschuleinrichtungen IWR und HCI statt: Letztere ist kürzlich in das neue Mathematikon gezogen. Zur Zusammenarbeit der Ruperto Carola mit Industriepartnern sagte Eitel prinzipiell: "Die Universität hat kein primäres Interesse, eigenständige Produkte zu entwickeln, sondern sie will Ideen bereitstellen, die andere in der Wertschöpfungskette durchführen können."

Bernd Jähne dankte seinen Kollegen Robert Massen und Rolf-Jürgen Ahlers, dass sie ihn vor 20 Jahren zum Bildverarbeitungsforum angeregt hatten. Die bisherigen 60 Foren hatten knapp 7000 Teilnehmer, davon kommen inzwischen rund 60 Prozent aus dem industriellen Bereich. Das Heidelberger Forum ist nun über Westdeutschland hinaus die wichtigste Kontaktveranstaltung zwischen der Forschung und der vor allem mittelständisch organisierten Bildverarbeitungsindustrie.

Fortan wird es unter dem Dach der European Machine Vision Association in den europäischen Rahmen ausgeweitet: Das erste European Machine Vision Forum wird im September im Heidelberger Mathematikon stattfinden. Jähne: "Die Zukunft ist eigentlich schon da, sie muss gefunden werden." In einer Querschnittswissenschaft wie der Bildverarbeitung sei es ein "Riesenproblem", dass an vielen Stellen Wichtiges passiert. Für den notwendigen Austausch sei das Forum so wichtig.

Wie eng verzahnt Forschung und Praxis auch bei seiner 61. Ausgabe waren, zeigte die Rednerliste. Dort waren neben Wissenschaftlern aus Deutschland und dem benachbarten Ausland auch weitere Anwender vertreten. So sprach Dr. Christoph S. Garbe, Leiter der HCI-Ausgründung "Lumiscan", ein Grußwort. Und Dr. Michael Bolle, Forschungsvorstand der Robert Bosch GmbH, stellte den neuen Bosch Forschungscampus Renningen vor.

Für die Fraunhofer-Allianz Vision befasste sich schließlich Prof. Michael Heizmann vom Karlsruher Institut für Technologie mit der Zukunftsperspektive "Roadmap Industrielle Bildverarbeitung - Marktanforderungen & Tech-nologien von morgen".