Wo die Stadt in modernen Romanen vorkommt
Es geht nicht um das alte, romantische, sondern das neue Heidelberg. Ein Vortrag von Gertrud Rösch.

Von Manfred Bechtel
Heidelberg. Das alte, romantische Heidelberg sollte ausdrücklich nicht im Mittelpunkt stehen, vielmehr ging es um das "neue Heidelberg in der Gegenwartsliteratur". Darüber sprach Professorin Gertrud Rösch vom Institut für Deutsch als Fremdsprachenphilologie in der Neuen Universität.
Aber "den einen oder anderen Seitenblick auf dieses romantische und uns allen so vertraute Heidelberg des 19. und auch 18. Jahrhunderts" warf sie durchaus, zum Beispiel auf Joseph von Eichendorff, Achim von Arnim und Clemens Brentano. "Sie waren damals jung, und sie genossen das studentische Leben". Rösch folgerte: "Heidelberg war schon immer eine Stadt der jungen Leute."

Mit einem "ganz Jungen" begann sie auch die Tour d’Horizon: mit Saša Stanišic, 1992 mit 14 Jahren nach Deutschland gekommen, wohin die Familie wegen des Kriegs in Bosnien geflüchtet war. Hier absolvierte er die Internationale Gesamtschule im Hasenleiser und danach ein Studium, unter anderem von Deutsch als Fremdsprachenphilologie ("an unserem Institut", wie Rösch "mit einem Riesenstolz" anmerkte).
In seinem Roman "Herkunft" kehrt er zurück zu seinen Anfängen und zur Erinnerung an sein Aufwachsen in Heidelberg, insbesondere im Emmertsgrund. Er schreibt: "Die soziale Einrichtung, die sich für unsere Integration am stärksten einsetzte, war eine abgerockte Aral-Tankstelle.
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Sie war Jugendzentrum, Getränkelieferant, Tanzfläche, Toilette. Kulturen vereint in Neonlicht und Benzingeruch. Auf dem Parkplatz lernten wir voneinander falsches Deutsch und wie man Autoradios wieder einbaut. Die einzige Regel: In der Nähe von Zapfsäulen – Rauchen verboten."
"Vom Mythos Heidelberg werden wir nicht loskommen", leitete Rösch über zu David Lodges "Out of the Shelter". Bei ihm findet sich einmal mehr die gerne erzählte Liebesgeschichte vom Student Prince, die auch in Amerika populär wurde. Sie hätte angeblich Heidelberg gerettet. "Real schmaltz", schmettert das David Lodge ab. Heidelberg ist auch eine Station in Christian Krachts "Faserland".
Der Ich-Erzähler steigt hier mehr oder weniger zufällig aus dem Zug, am Abend findet er sich in der Max-Bar wieder. Die unzerstörte Stadt lässt ihn vermuten: "Die Amerikaner wollten Heidelberg nach dem Zweiten Weltkrieg zu ihrem Hauptquartier machen, deswegen ist es nie zerbombt worden, und deswegen stehen die ganzen alten Gebäude noch, als ob nichts geschehen wär."
"Zu Recht ist Heidelberg eine Stadt der Literatur – nicht nur, weil sie früher in der Literatur gelobt wurde – sondern weil sie heute ein lebendiges literarisches Leben hat", urteilte Rösch. Sie verwies auf eine ganze Reihe von Literaturpreisen, die in der Stadt verliehen werden. Hinzu kommt der Heidelberger Stückemarkt, ein Theaterfestival, das junge Autorinnen und Autoren vorstellt und auszeichnet.
Nicht zu vergessen: "Ginkgo-Biloba" der Preis für Lyrik-Übersetzungen. 2014 wurde Heidelberg zu einer Unesco-Literaturstadt ernannt, darauf wies Rösch ebenso hin wie auf das Literaturfestival, bei dem Gegenwartsautoren aus ihren Texten lesen.
"Aber es ist nicht nur gedrucktes Wort, Heidelberg ist auch ein Zentrum des Hip-Hop", weitete Rösch den Blick auf das ’neue Heidelberg’. "Eine innovative, eine ganz neue orale Literatur, die sich die Stadt ganz besonders zu eigen gemacht hat."
Spannende Unterhaltungsliteratur durfte nicht fehlen: "Krimi geht immer!", wusste die Krimileserin Rösch und nannte als Beispiel Marcus Imbsweilers Kriminalgeschichten mit Heidelberger Lokalkolorit. Auf dem politischen Bücherbrett des Vortrags stand ein vertrauter Klassiker: Heinrich Bölls Erzählung "Du fährst zu oft nach Heidelberg": Ein Lehramtskandidat engagiert sich humanitär und unterstützt – politisch unerwünscht – geflüchtete Chilenen.
Böll bezieht sich auf einen authentischen Fall; am Ende wird der Lehramtskandidat erfahren, dass er die Stelle nicht bekommt. Ein politisches Buch ist auch Bernhard Schlinks "Der Vorleser". Der Protagonist stammt aus Heidelberg; geht in Heidelberg zur Universität; er muss sich anhand einer Liebesbeziehung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandersetzen.
Die Fraternisation zwischen amerikanischen Soldaten und der deutschen Bevölkerung nach dem II. Weltkrieg hat Susanne Abels "Stay away from Gretchen" zum Thema: Greta bekommt mit einem afroamerikanischen Soldaten ein Kind. Die Handlung ist in Heidelberger verankert. "Sie finden die Straßen, die Häuser, Sie können das nachvollziehen. Aber wir dürfen nie vergessen: Es ist eine erfundene Geschichte."
Auf "Alt-Heidelberg, du feine", die vielgesungene Hymne von Scheffel, kam Rösch aber doch noch zu sprechen, genauer gesagt, auf die englische Übersetzung der "Stadt fröhlicher Gesellen" und dreinblitzender "Blauäuglein" ("merry fellows; blue eyes flash and shine").
Die Übertragung wurde nämlich besorgt von einem ehemaligen amerikanischen Studenten in Heidelberg, Jacob Gould Shurmann, der schließlich in den 1920er-Jahren als amerikanischer Botschafter nach Berlin zurückkam. Er initiierte in den USA eine Spendenaktion, um die Fertigstellung des Gebäudes der "Neuen Universität" zu ermöglichen.