Die Flucht aus dem Panama-Paradies
Drei Wochen durch Panama reisen wollte RNZ-Redakteurin Anica Edinger. Doch dann kam das Coronavirus und die bange Frage: Wie komme ich hier wieder raus?

Von Anica Edinger
Panama City/Heidelberg. Es ist etwa 16.30 Uhr, als sie uns Fieber messen. In Schutzanzügen, aber mit einem freundlichen Lächeln in den Augen. Draußen strahlt die Sonne bei 32 Grad. Palmen wehen im Wind. Angekommen. Endlich. Nach einem Zwölf-Stunden-Flug mit Lufthansa am Ziel: Panama City, Tocumen Airport. Soweit wir es überblicken können, hatte keiner der Passagiere von LH 484 Krankheitssymptome. Weit über 100 Deutsche reisen wie wir in das mittelamerikanische Land zwischen Costa Rica und Kolumbien ein.
Einen einzigen Fall von Covid-19 gibt es da in Panama, in Heidelberg gerade einmal vier. Der "Heidelberger Frühling" ist noch nicht abgesagt, Großveranstaltungen und Konzerte finden statt, Jugendliche gehen in die Schule. Das ist der Stand, als wir Deutschland verlassen – es ist der 9. März. Drei Tage später ist die Welt eine andere.
Mit dem Rucksack und einem gemieteten Camping-Jeep drei Wochen durch Panama: Das ist der Plan von mir, Anica Edinger, RNZ-Redakteurin, und meinem Freund Johannes. Dem Regen, den Wolken, dem Virus entkommen. Hier, in den Tropen, werde sich "Corona" sicherlich nicht so schnell verbreiten. Das ist nicht nur unsere, sondern auch die Meinung eines Taxifahrers am ersten Tag in Panama Stadt. Wie wir uns irrten.

Zweiter Tag, erster Paukenschlag: Der Trip auf die San-Blas-Inseln sollte ein Highlight unseres Urlaubs werden. Dort leben die Kuna, eine indigene Ethnie Panamas. Doch ein Tag vor Abfahrt ins Paradies kommt die Nachricht vom Veranstalter: Die Kuna machen die Inseln dicht. Das Virus: Es hat uns eingeholt. Bis nach Panama. Auch die Fallzahl hatte sich während unserer zwei Tage in der Stadt erhöht: erst einer, dann drei, schließlich über 20 Fälle.
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Wir planen um und buchen eine Fähre auf die Isla Contadora im Pazifik – wenigstens bis Sonntag, 15. März, wenn wir unseren Mietwagen abholen können. Es sollte nicht dazu kommen. Denn kaum auf der Insel angekommen, überschlagen sich die Nachrichten. Der panamaische Präsident ruft den Notstand aus. Massenhaft wohlhabende Panamaer strömen jetzt mit Helikoptern und Charterflügen auf die kleine Insel. Laut Gerald, unserem Gastgeber im Bed & Breakfast, flüchten sie alle vor dem Virus aus den Städten.
Die ersten Länder Lateinamerikas machen ihre Grenzen dicht: El Salvador, Argentinien, Nicaragua, Peru, Bolivien. Wann würde es in Panama so weit sein? Wir sind verunsichert. Dass wir hier uneingeschränkt reisen können, wird immer unwahrscheinlicher. Johannes entscheidet, bei der Deutschen Botschaft in Panama anzurufen. Es ist letztlich einer von vielen, aber der entscheidende Anruf. "Die Regierungen hier in Mittelamerika tendieren dazu, schnell und im Affekt zu handeln", so der Mann am Telefon. Europäer, die frisch einreisen, müssen in Quarantäne. Das könne auch Touristen treffen, die schon im Land sind. Sein Rat: "Verlassen Sie das Land, so lange Sie noch können."
Wir alarmieren unsere Familien. Bei Lufthansa kann man alle Flüge aufgrund der Corona-Krise einmalig kostenfrei umbuchen. Meine Schwester, Johannes’ Bruder, seine Eltern: Im Minutentakt versuchen sie, bei der Lufthansa-Hotline durchzukommen. Vergebens. Alle Leitungen ausgelastet. Man solle, so die Bandansage, bitte ganz einfach über die App oder die Lufthansa-Internetseite umbuchen. Nur: Beides ist für uns nicht möglich – wir hatten unseren Flug nicht direkt, sondern über "Opodo" gebucht, weil er dort wesentlich günstiger war.
Ein Tag und hunderte Anrufe später dann die Erlösung: Johannes’ Bruder kommt in die Warteschleife, verharrt dort gut zwei Stunden und bucht für uns um. Am Montag, 16. März, können wir direkt nach Frankfurt fliegen. Wir sind erleichtert. Für gut sieben Stunden.
Im Sonnenuntergang auf Geralds Dachterrasse liest mein Freund am selben Tag die "Estrella de Panama". Ich trinke ein Bier, schaue aufs Meer, als er sagt: "Alle Flüge von und nach Europa werden gestrichen." Wie bitte? "Alle Flüge gestrichen. Für 30 Tage." Das kann doch nicht sein, protestiere ich. Er zeigt mir unseren Flugstatus: gestrichen. Mein Herz rast. Wir sitzen fest. In Panama. Auf unbestimmte Zeit. Unsere heiß geliebte Reisefreiheit: Vergangenheit.
Es folgt eine schlimme Nacht. Wir machen beide kaum ein Auge zu. Wir wollen nur nach Hause. Zu unseren Familien und Freunden. Aber wie? Von zwei mitreisenden Deutschen erfahren wir, dass Lufthansa seine Passagiere über Mexiko ausfliegen will. Man würde kontaktiert. Aber: Es kommt keine Mail. Und in der Lufthansa-App wird der Rückflug überhaupt nicht mehr angezeigt, sondern nur unser ursprünglicher – am 31. März.
Wir sind auf uns alleine gestellt und die Situation verschärft sich Stunde um Stunde. Hotels, Restaurants, Bars und Clubs werden geschlossen. Die Supermärkte in Panama Stadt würden geplündert, berichtet Gerald. Dörfer in den Bergen fällen Bäume, um Zufahrtsstraßen zu blockieren. Reisende würden von der Polizei von Stränden geholt und auf ihre Hotelzimmer geschickt.
Sonntag, 15. März. Wir suchen nach einem Ausweg. Stundenlang. Das Ziel: Europa, egal wo. Beim Blick auf die Weltkarte hat Johannes eine Idee: Europa ist gar nicht so weit. Curaçao, eine niederländische Karibikinsel, ist von Panama Stadt aus in zwei Stunden erreichbar. Auf der Curaçao-Internetseite ist zu lesen: Es gibt zwar Flugreisebeschränkungen aus Europa, aber nicht für Europäer, die aus einem anderen Land einreisen. Und KLM, quasi die niederländische Lufthansa, fliegt noch täglich, um Touristen rauszuholen. Unsere Stimmung steigt. Ist das der Ausweg? Wir buchen zwei Flüge: Am Montagmorgen nach Curaçao, am Mittwoch mit KLM nach Amsterdam.
Am Nachmittag nehmen wir die Fähre zurück in die Stadt. Wir sind zwar erleichtert, aber weiter nervös. Wird auch dieser Flug wieder gecancelt? Schaffen wir es durch die Immigration in Curaçao? Wir malen uns sämtliche Horrorszenarien aus. Denn fest steht: Möglich ist alles. Am Abend finden wir auf dem Festland eine andere Stadt vor: Panama wurde binnen drei Tagen zum Polizeistaat. Kaum ein Mensch ist mehr auf der Straße, Restaurants sind geschlossen, die Polizei fährt massenhaft Streife – in Schutzanzügen. Die Angst, hier nicht mehr rauszukommen, wird größer und größer. Bis in die Nacht checken wir im 30-Minuten-Takt unseren Flugstatus – bis wir mit Bauchschmerzen dann doch einschlafen.
Weil in der Economy-Class alles ausgebucht war, müssen wir uns für viel Geld zwei Plätze in der Business-Class buchen. Der Check-in am nächsten Morgen geht deshalb schnell und problemlos. Wir schaffen es zum Gate und schöpfen erstmals wieder Mut. Mit einigen anderen Deutschen, die die gleiche Exit-Strategie haben wie wir, warten wir. Viele sind aufgelöst. Doch ich bin überzeugt: Jetzt wird alles gut! Von Curaçao aus werden wir es nach Amsterdam und von dort auch nach Deutschland schaffen.
Bis ein völlig Fremder am Gate unsere Hoffnung jäh zerstört: "Sorry, aber sie werden Euch in Curaçao nicht reinlassen, wenn Ihr keinen holländischen Pass habt." Das habe er gerade am Telefon erfahren. Was sollen wir also tun, fragen wir den Mann? Das wisse er auch nicht, er wolle uns nur vorbereiten.
Da wir keine Wahl haben, fliegen wir. Die Panik ist allen Deutschen an Bord ins Gesicht geschrieben. Auch die Immigrationsbeamten sind sichtlich nervös. Die Beamtin am Schalter stülpt sich Handschuhe über, bevor sie unsere Pässe entgegennimmt. Ob wir in den letzten Wochen krank gewesen seien, will sie wissen. Nein. Wann wir das letzte Mal in Europa waren? "Vor acht Tagen", lüge ich. Es waren sieben. Die Beamtin schaut grimmig. Wir panisch. Sie will unser Ticket nach Amsterdam sehen. Dann gibt sie uns den Stempel: "Immigration Curaçao. 16. März." Geschafft.
Curaçao ist eine Trauminsel und für uns das Tor nach Hause. Dennoch bleibt die Stimmung angespannt. Strände und Hotels sind leer gefegt. Das Virus: Es ist allgegenwärtig. Am Abend unserer Ankunft erlässt die Regierung eine neue Flugreisebeschränkung: Kein Tourist, egal aus welchem Land, darf mehr auf die Insel. Wir sind über alle Maßen erleichtert, nicht noch einen Tag abgewartet zu haben.
Unterdessen kündigt Außenminister Heiko Maas seine groß angelegte Rückholaktion an. Der "Landsleutebrief" des Auswärtigen Amts erreicht uns am Strand in Curaçao – am 17. März, einen Tag vor unserem Flug nach Amsterdam. Schon längst hatten wir uns auf die Liste zur "Elektronischen Erfassung von Deutschen im Ausland" eingetragen. Man soll seinen Status dort aktualisieren und angeben, dass man an der Aktion teilnehmen möchte. Aber die Seite ist überlastet. Bis zum heutigen Tag.
Auf RNZ-Anfrage beim Auswärtigen Amt antwortet ein Pressesprecher, dass derzeit noch Hunderte Deutsche in Panama festsitzen. Es seien mehrere Flüge für ihre Rückholung geplant, wann diese starten, sei unklar. Man bitte um Geduld, heißt es im letzten "Landsleutebrief" vom vergangenen Dienstag. Deutsche Touristen sollten sich jedenfalls eiligst nach Panama Stadt bewegen.
Als wir in Curaçao an Bord gehen, strahlt die Sonne vom Himmel. Auch dort wehen Palmen im Wind. Nur das Lächeln in den Augen: Das haben viele Menschen verloren.