Der Deal mit dem Pferd

"Pferdeflüstern" ist ein Witz an sich: Das Pferd ist kein verbales Wesen. Es liest Körpersprache und Energie, drückt sich über Mimik, Haltung und Bewegung aus, in den seltensten Fällen über Laute. Aber wir können dennoch mit ihm kommunizieren. RNZ-Autorin Nadja Müller erklärt, wie.

15.11.2014 UPDATE: 15.11.2014 05:00 Uhr 4 Minuten, 39 Sekunden
Können gut miteinander: Lucky Luke und Jolly Jumper. Fotos: Fotolia/dpa
Er legt seine Hand auf die Stirn mit dem Fellwirbel, schaut in die Augen des Pferdes und in die Abgründe einer geschundenen Seele. Leise murmelt er ein paar beruhigende Worte. Das Pferd atmet aus, senkt den Kopf und weiß: Jetzt wird alles gut. Da ist jemand, der mich versteht.

So schön sich das auch lesen mag: Meistens gehört diese intuitive Verbindung von Pferd und Mensch in die Studios von Hollywood oder zwischen die Buchdeckel eines Romans. Die Titel würden dann das Wort "Pferdeflüsterer" beinhalten; und auch das ist in etwa genauso weit von der Realität entfernt wie der Stoff, aus dem romantische Pferde-Mädchenträume sind: Geheime Sätze in Pferdeohren zu wispern wird den wilden Hengst nicht in ein braves Lamm verwandeln, und Marie kann zwar am Koppeleingang rufen wie einst Joe nach Fury. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Pferd im Galopp angestürmt kommt, über den Koppelzaun springt, damit sie sich auf seinen bloßen Rücken schwingt und eine Runde reiten kann, ist - nennen wir es - eher gering.

Das liegt daran, dass Mensch und Pferd in ihrer Entwicklungsgeschichte einfach zu weit auseinander liegen, als dass eine direkte Verbindung wahrscheinlich ist - nur wenige Talentierte kommen mit ihr auf die Welt, aber der große Rest sitzt im Dunkeln. Der gesunde Menschenverstand ist nicht gleichbedeutend mit reellem Pferdeverstand. Denn der Mensch, das geborene Raubtier, kommuniziert mit Sprache, er redet. Das Pferd aber, das geborene Fluchttier, ist kein verbales Wesen. Es liest Körpersprache und Energie, drückt sich über Mimik, Haltung und Bewegung aus, in den seltensten Fällen über Laute. Treten Sie mal einem Hund auf den Fuß. Sein Quietschen und Gejaule werden Sie bestimmt nicht überhören. Haben sie aber jemals ein Pferd schreien hören, weil es mal wieder die Gerte bekommen oder ihm sein Reiter die Sporen in die Seiten gestochen hat? Die Geräuschkulisse im Pferdesport wäre eine andere, wenn Pferde Schmerzenslaute hätten.

Sie flüstern nicht ...

Jene Menschen, die diesen Unterschied in der Verständigung begriffen haben, und die auch deswegen zu den sogenannten Pferdeflüsterern zählen, sind selbst still geworden, wenn sie mit Pferden umgehen. Die Analogie des Leisen ist der einzig wahre Kern am Wort "Pferdeflüsterer". Horsemen, wie sich viele Pferdemenschen selbst nennen, lehnen diesen Begriff häufig ab, eben weil sie nicht flüstern. Sie kommunizieren klar und deutlich - aber in der lautlosen Sprache des Pferdes. Und so hebt sich der mystische Schleier, der die gelingende Verständigung zwischen Pferd und Mensch verdeckt: Nicht Zauberei liegt ihr zugrunde, sondern die einfache Bereitschaft des Menschen, sich auf die Kommunikationsmittel des Pferdes und auf dessen Bedürfnisse einzulassen und nicht zu erwarten, dass sich das Pferd den unseren anpasst.

Diese Einstellung bildet den Ausgangspunkt einer Bewegung, die in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen ist und sich über alle Kontinente ausgebreitet hat: Horsemanship lautet ihr Name - eine Fusion aus Horse, Human und Relationship, also Pferd-Mensch-Beziehung. Ihr Ursprung liegt in Oregon, USA, wo im Jahr 1910 der Mann zur Welt kam, der heute als der Vater des Horsemanship gilt: Tom Dorrance.

Von ihm wird erzählt, dass er, kleinwüchsig wie er war, die großen Kerle bei der groben Arbeit mit Pferden beobachtete, und sich dachte, dass er wohl einen anderen Weg finden müsse. Ihm und seinem Bruder Bill ging im nach wie vor überwiegend wilden Westen, wo man Pferde nicht einreitet, sondern bricht, schnell der Ruf voraus, ein Händchen für schwierige Pferde zu haben. Tom - den Zeitzeugen als umgänglichen und bescheidenen Mann beschrieben - half anderen gern, wurde aber nicht immer verstanden, da seine Hinweise auf das Wohl und die Bedürfnisse des Tieres zielten und weniger darauf, dem Menschen schnellen Erfolg zu bescheren.

Einem Cowboy etwa, der seine Pferde gern mit viel Druck durch den Roundpen jagte (ein rundes, eingefasstes Areal zum Pferdetraining), um sie gefügig zu machen, empfahl Tom, den Verschlag statt mit stabilen Holzplanken doch mit Maschendrahtzaun einzufassen. Für den Cowboy ein eher ambivalenter Ratschlag, aber was für einer für das Pferd! Denn das wäre schnell aus dem dünnen Drahtgeflecht geflohen - und vielleicht hätte das Einfangen dem Cowboy die Zeit verschafft, seinen Trainingsansatz zu überdenken.

... sie kommunizieren

Und so werden die Horsemen der ersten und zweiten Generation, also die Dorrance Brüder und ihre Schüler, gern "Anwälte der Pferde" genannt. Sie haben erkannt, dass das Pferd - egal, welches Verhalten es zeigt - , immer im Recht ist. Weil es nicht schauspielert, weil sein Charakter nicht von Natur aus böse ist. Das Tier mag treten, beißen und bocken - alles Unarten, die für den Reiter gefährlich sein können. Aber erst der Mensch hat das Tier soweit getrieben, dass es glaubt, sich so verteidigen zu müssen. Das Pferd wehrt sich nur, weil es überleben will. Und damit ist es die Aufgabe des Menschen, sich zu verändern, nicht die des Pferdes. Bei ihm liegt die Verantwortung für eine bessere Beziehung, für Verständigung und Verständnis.

Für viele Pferdebesitzer und Schüler der Dorrance-Brüder war diese Philosophie schwer zu begreifen. Und wo der scheue Tom diplomatische Worte fand, da fiel sein Schüler Ray Hunt mit der Tür ins Haus. Er soll Reitern, die zu seinen Kursen (Clinics sagt der Amerikaner) kamen, geraten haben, doch besser Golf zu spielen oder das Pferd zum Wohle des Tieres zu verkaufen. Hunt war kein Freund der Menschen, und auch sich selbst gegenüber ungnädig. Dennoch war er derjenige, der als erster durch die USA reiste, um sein Wissen in Kursen weiterzugeben, und der damit ein modernes Format des (Reit-) Unterrichts geprägt hat. Auch Buck Brannaman, wiederum Schüler von Hunt, handhabt das so. Spätestens seit der Dokumentation über sein Leben ("Buck - der wahre Pferdeflüsterer") ist er so etwas wie ein Star in der Szene; und tatsächlich steht seine Geschichte einem Hollywooddrehbuch in Dramatik in nichts nach: Als Kind zeigte er Lassotricks im Fernsehen, wurde vom Vater halb tot geprügelt und wuchs schließlich in einer Pflegefamilie mit Pferden auf. Früher halfen die Tiere ihm, heute gibt er ihnen etwas zurück.

Seine Shows in Europa sind ebenfalls rasant schnell ausgebucht, wie in den USA. Der 52-jährige Brannaman scheint ein sehr aparter Mann zu sein, er entschuldigt sich regelmäßig, dass er auf den Wegen von der Mittagspause zurück zur Halle nicht mit jedem reden kann - weil er sonst nicht rechtzeitig in der Halle ankommt. Und er bietet seinen geliebten Zuhörern an, am Abend Autogramme zu schreiben - wenn es unbedingt gewünscht wird.

So zurückhaltend er ist, wenn es um ihn selbst geht, so scharf spricht er Missstände beim Reiten oder im Umgang mit dem Pferd an und greift ein, wenn es notwendig wird. Er übernimmt die Zügel, wenn ein überforderter Pferdehalter nicht in der Lage ist, seinen Schecken im Zaum zu halten. Er geleitet durch seine gezielten Methoden, Beziehungen zwischen Mensch und Tier wieder auf den rechten Pfad. Seine Leitsätze wiederholt er immer und immer wieder: "Macht dem Pferd keinen Vorwurf. Ärgert euch nicht über das Pferd, sondern über die Leute, die es zu dem gemacht haben." Dieser stoischen Haltung bleibt er treu. "Feel" (Gefühl), der Mensch solle dem Pferd immer ein gutes Angebot, den "good deal", machen, dem das Pferd gern folgen kann. Damit ordnet er sich ein, hinter seine Lehrer und Vorgänger, in die Reihe der Anwälte der Pferde - jene, die lange und hart an sich selbst gearbeitet haben, um dem Tier gerecht zu werden.