Das Heidelberger Theater erfindet sich fast täglich neu
Derzeit fahren alle auf Sicht - Im Februar wird Brit Bartkowiak Oberspielleiterin des Schauspiels

Von Volker Oesterreich
Heidelberg. Zuversicht lautet das Gebot der Stunde. Nicht unterkriegen lassen! Denn in den Zeiten der Corona-Krise ist die Kultur wichtiger denn je. Fürs Publikum, für die Gesellschaft insgesamt und für das kreative Entwicklungspotential der Künstler aller Sparten. Dies gilt für die ganz großen Kulturtanker genauso wie für die vielen kleinen, in ihrer Existenz bedrohten Initiativen. Diese Überzeugung teilt auch das gesamte Team des Heidelberger Theaters. "Die Lust aufs Inszenieren, Spielen und Musizieren ist riesig", betont Intendant Holger Schultze beim Pressegespräch mit der RNZ. Zwar müssten die Konzepte immer wieder neu überdacht werden, "aber Flexibilität gehört ja seit jeher zu unserem Metier". Alle fahren auf Sicht. Wichtigstes Ziel ist es, weiterhin ein vielfältiges, wenn auch in puncto Besucherzahl und Hygienekonzept eingeschränktes Angebot aufrecht zu erhalten.
Eine langfristige Planung über eine gesamte oder sogar zwei Spielzeiten ist derzeit nicht möglich. Deshalb wird der Spielplan jeweils nur für drei Monate vorgestellt. Umdenken müssen möglicherweise auch die Musiker des Philharmonischen Orchesters, denn es könnte sein, dass die Aula der Neuen Universität bald nicht mehr als Ausweichspielstätte für die sanierungsbedingt geschlossene Stadthalle zur Verfügung stehen wird. Sollte es so kommen, müssten die Philharmonischen Konzerte in den Marguerre-Saal verlegt werden. Da dort aber nur rund 150 Zuhörer dabei sein können, müssten die Programme an vier Terminen statt wie bisher an zwei gespielt werden.
In den Zuschauerreihen, im Orchestergraben und auf der Bühne werden die Hygieneregeln strikt eingehalten. "Man spricht ja schon jetzt von der Corona-Ästhetik", sagt Holger Schultze. Trotzdem könnten Gefühle, Konflikte und menschliche Nähe glaubwürdig und intensiv vermittelt werden. "Auch beim Tanz", bestätigt Iván Pérez, der Chef der Tanz-Sparte. Inzwischen hätte sich seine Truppe daran gewöhnt, dass bei der Vorbereitung der Tanzbiennale per Video-Konferenz miteinander kommuniziert werde. Dennoch gilt auch für ihn: "Live is live", das unmittelbare Bühnenerlebnis sei durch nichts zu ersetzen.
Das sieht auch die Regisseurin Brit Bartkowiak so. Die 1980 geborene, derzeit in Köln lebende Künstlerin ist dem Heidelberger Publikum durch eine Reihe packender Inszenierungen bekannt, darunter Büchners "Woyzeck", Thomas Arzts "Die Anschläge von nächster Woche", Dea Lohers "Unschuld" und Ayad Akhtars "Junk". Regieerfahrungen hat sie an den ersten Adressen der Theater-Republik gesammelt, beispielsweise im Deutschen Theater Berlin, im Düsseldorfer Schauspielhaus und ganz aktuell im Staatstheater Mainz.
Auch interessant
Im Februar nächsten Jahres übernimmt Brit Bartkowiak im Heidelberger Theater die neu geschaffene Position der Oberspielleiterin des Schauspiels. Nach zwölf Jahren als freie Regisseurin an verschiedenen Häusern freut sie sich darauf, "kontinuierlich mit einem Ensemble zusammenarbeiten zu können und das künstlerische Profil zu schärfen". Vorbild dabei sei für sie Dimiter Gotscheff, "er hat eine ganz besondere Sensibilität für die Ensemblemitglieder entwickelt". Andere Regiegrößen wie Stefan Pucher, Nicolas Stemann oder Stephan Kimmig haben ihren Blick ebenfalls geschärft. Auch auf der administrativen Ebene will sie mitmischen, etwa bei Gesprächen mit dem Kulturausschuss des Gemeinderats. In dieser Spielzeit wollte Brit Bartkowiak eigentlich Friedrich Wolfs fast vergessenes, aber im hohen Maße brisantes Stück "Professor Mamlock" inszenieren. Doch die Corona-Bedingungen lassen das nicht zu. Aufgeschoben ist jedoch nicht aufgehoben, das 1932 uraufgeführte und durch eine Defa-Verfilmung bekanntgewordene Stück über die antisemitische Hetze soll zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden.



