Dem Publikum wird richtig was geboten
Oper mit intelligentem Corona-Konzept: Heidelbergs "Bajazzo" macht aus der gegenwärtigen Situation ein pfiffiges Spektakel.

Von Matthias Roth
Heidelberg. Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich die (Musik-) Theater mit der gegenwärtigen Situation umgehen. Während man in Berlin ("Walküre") auf volle Besetzung setzt und diese wöchentlichen Corona-Tests unterzieht, bricht man am Nationaltheater Mannheim Puccinis "Madama Butterfly" in Dauer und Orchester auf ein derzeit mögliches Format herunter und inszeniert abstandsbewusst halbszenisch. Dagegen setzt man in Heidelberg bei ebenfalls reduziertem Orchester auf wirkungsvolle Theatereffekte, wie man nun bei Ruggero Leoncavallos "Pagliacci" (Der Bajazzo) sehen kann.
Denn was ist es wirklich, was einem nach mehr als einem halben Jahr Theaterabstinenz am meisten fehlt? Es ist das Theater selbst. Es sind die Schauspieler, ihre Komik, ihre Trauer, ihr Lachen, ihre Tragik. Die psychologisch zerfieselte, politisch gedeutelte, gesellschaftsanalytische neue Tiefensicht auf einen alten Text scheint sekundär, aber der Spaß am Bühnenspiel, die Freude an furioser Gestik, und ja, auch der Klamauk, das fehlt uns! Es ist die Lust am (Theater-) Leben selbst, die wir brauchen. Und davon gibt es nun am Heidelberger Theater genug: den Machern sei Dank.
Anne Neusers Bühne trennt das Davor und Dahinter mit einem großen, glitzernden Lamettavorhang, durch den, nicht zuletzt mittels einer Drehbühne, ein wildes Hin und Her stattfindet. Im Ersten Akt dreht das Clowns-Milieu im Commedia dell’arte-Stil richtig schön auf, was durch große Mund-Nasen-Masken möglich ist, die Teil der Kostüme sind (Alexandre Corazzola) und sängerisch kein Problem darstellen. Den Einsatz des Chors musste man hier streichen, dafür fügte man in das Stück einige italienische Kanzonetten ein, etwa "Mattinata", ein Lied, das Leoncavallo für Caruso schrieb, aber auch "O sole mio" oder die Schnulze "Mamma", das Wilfried Staber und Winfrid Mikus als höchst komödiantisches Duett vortragen. Dem Publikum wird mit diesen Erzschauspielern und Sängern richtig was geboten.
Andrea Schwalbach inszeniert das Eifersuchtsdrama zunächst als buntes, fröhliches Durcheinander mit allen möglichen Theatergags, das dann sehr plötzlich ins Tragische kippt. Chaz’men Williams-Ali geizt als Canio nicht mit Emotionen und singt kraftvoll expressiv. Hye-Sung Nas Nedda hingegen zeigt in ihrer Vogel-Arie auch lyrische Qualitäten. James Homann (Tanio) und Ipca Ramanovic (Silvio) ergänzen das Ensemble. Der Opernchor (Einstudierung: Michael Pichler) tritt dann doch noch mit je sechs maskenbewehrten Damen und Herren rechts und links des Zuschauerraums auf.
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Das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Dietger Holm spielte reduziert, aber dennoch mit Streicherschmelz. Die musikalische Bearbeitung der Partitur durch Daniel James, die mit 25 Musikerinnen und Musikern zu realisieren ist, wirkt apart, ist originell und reduziert die Bläser auf das Nötigste. Sie changiert zwischen vollem Sound und Kammermusik, reizt mit einem Kontrabass-Solo, mit Harfenklängen oder Hornkaskaden. Das Ganze ist ein pfiffig kreatives Spektakel im kleinen Format, für das es langen Beifall gab.
Ein Abend mithin, dem man Corona kaum anmerkt. Hoffen wir, dass man ihn weiter wird spielen können, auch wenn die Verordnungen sich täglich ändern. Intendant Holger Schultze ist optimistisch, und Kulturbürgermeister Joachim Gerner meinte im Gespräch, dass neue Regelungen für den öffentlichen Personennahverkehr derzeit dringlicher seien als neue Auflagen für Theater oder Konzertsäle, die funktionierende Konzepte erarbeitet hätten.



