Tom Odell - Zuversicht fürs Leben
Auf seinem neuen Album versprüht Tom Odell wieder Hoffnung. Außerdem reingehört haben wir auch bei David Byrne, Brad Mehldau, Marissa Nadler und Big Thief.

Von Steffen Rüth
Emotional geht Tom Odell ans Eingemachte. Der englische Singer-Songwriter hat mit "A Wonderful Life" ein hochgradig hoffnungsvolles Album aufgenommen.
Odell, vor 34 Jahren in der englischen Provinz West Sussex als Sohn einer Grundschullehrerin und eines Piloten zur Welt gekommen, teilweise in Neuseeland aufgewachsen und dank seines Drei-Milliarden-Streams-Dauersuperhits "Another Love" (2013) finanziell ein gemachter Mann, ist kein Typ für Belanglosigkeiten. Kurze Zeit, um sich über die Vorzüge Mallorcas auszutauschen, wo Musiker und Journalist unabhängig voneinander kurz vor ihrem Berliner Aufeinandertreffen verweilten, ist noch. Aber dann wird das Gespräch direkt tief.
"Ich habe meine Kindheit mit Nachdenken verbracht", sagt Odell. "Ich war ein Grübler und ein Mir-ständig-Sorgenmacher. Zu meinem großen Glück hatte ich die Musik, um mich meinen Ängsten und Selbstzweifeln auf eine kreative Weise zu stellen." Bis heute beschäftigen ihn die Komplexitäten und Tücken seines Seelenlebens. Auf dem 2021 veröffentlichten Album "Monsters" setzte er sich beinahe monothematisch mit seinen Dämonen auseinander, zu denen auch Panikattacken und ein belastetes Verhältnis zum eigenen Körper zählen.
Gehörig ans emotional Eingemachte geht Odell, seit zwei Jahren immerhin glücklich verheiratet, nun auch auf seinem bereits siebten Album "A Wonderful Life". Das neue Werk kommt nur anderthalb Jahre nach dem karg-schönen Vorgänger "Black Friday" raus. Tom Odell hat die Lieder vorwiegend auf seinen Konzertreisen in Hotelzimmern, Zügen und Flughäfen geschrieben. Und: Sie sind spürbar zuversichtlicher und das Leben an den Hörnern packender als zuletzt bei ihm üblich.
"Für mich haben die neuen Songs etwas annähernd Ausschweifendes", beschreibt Tom, "jedoch mit einem steten melancholischen Unterstrom." Die neue Platte sei für ihn der Abschluss einer Trilogie ("Best Day Of My Life", "Black Friday", "Wonderful Life"), die ihn nach und nach weiter weg von Verzweiflung und tiefer Trübsal und hin zu Licht und Hoffnung geführt habe. Jetzt will der Brite eine musikalische Schulter zum Anlehnen sein. Eines der Stücke heißt denn auch programmatisch "Don’t Cry, Put Your Head On My Shoulder". Ja, diese Platte möchte ihre Hörerinnen und Hörer aufbauen, sie ermutigen. Passenderweise endet sie mit dem leicht an den Beatles orientierten Song "The End Of Suffering" – das Ende des Leidens.
Okay, wenn es manchmal, wie im Titelsong, dramatisch und mit dem breiten Pinsel gemalt klingt, lassen Coldplay grüßen. Die ansonsten eher live und organisch gehaltene Produktion lässt "A Wonderful Life" indes überwiegend Raum für ein schönes Unter-der-Bettdecke-Gefühl.
Info: "A Wonderful Life" erscheint diesen Freitag. Am 22. November tritt Tom Odell in der Mannheimer SAP-Arena auf.
Bryan Adams und mehr. Hier geht es zum Sound der letzten Woche.
Sound der Woche
David Byrne
Who Is The Sky?
New Wave 37 Jahre sind die Talking Heads bereits Geschichte. Frontmann David Byrne fackelt aber weiter fröhlich seine Artpop-Feuerwerke ab. Zum Glück! Ohne den schottischen Vorzeige-New-Yorker hätten wir nie erfahren, dass Buddha gerne Partys in Downtown frequentiert. Dass einen Feuchtigkeitscreme in ein Baby verwandeln kann. Und dass der Begriff "Avantgarde" rein gar nichts bedeutet. Ja, auch mit 73 gelingt Byrne lässig der Spagat: Seine zwölf blubbrigen "Who Is The Sky?"-Spinnereien klingen experimentell und eingängig zugleich. Und so ist es der guten Laune äußerst zuträglich, was der Exzentriker hier mit den 15 Kammermusikern des Ghost Train Orchestra veranstaltet. (dasch) ●●●
Für Fans von: fröhlichen Bowie-Songs
Bester Song: Everybody Laughs
Brad Mehldau
Ride Into The Sun
Jazz Nach seinem Umzug von New York nach L.A. ging Brad Mehldau freitags regelmäßig in den Largo Club, um mit anderen Musikern zu jammen. Einer davon war der viel zu früh verstorbene Elliott Smith (1969-2003). Ihm widmet der Pianist jetzt dieses Tribute-Album, auf dem er zehn Smith-Songs verjazzt und dazu vier Eigenkompositionen sowie einen Track von Nick Drake beisteuert, die von Smith inspiriert sind. Ein Kammerorchester verleiht dem Projekt cineastischen Charme. (welf) ●●
Für Fans von: Elliott Smith
Bester Song: Better Be Quiet Now
Marissa Nadler
New Radiations
Folk Einsamkeit und wie man aus dem Chaos heraus neue Klarheit gewinnen kann – Marissa Nadler breitet auf "New Radiations" darüber sinnierend ruhige Klanglandschaften aus, die man durchwandern möchte: verführerisch und dunkel wie eine kühle Spätsommernacht an einem See. Doch genau das, was einen die Songs im einen Moment in Dauerschleife hören lässt, will man im anderen weit von sich schieben. Kein Album für jeden Tag. (csw) ●●
Für Fans von: Beth Gibbons
Bester Song: Weightless Above The Water
Big Thief
Double Infinity
Folk So transzendent wie Titel und Cover des neuen Big-Thief-Albums fühlen sich auch die Songs an. Trotz experimentellerer Ausrichtung geht von ihnen aber noch dieselbe Lagerfeuerwärme aus. Bereits der Opener "Incomprehensible" schafft mit Sitar und Hörnern eine beinahe kosmische Klanglandschaft. Noisy und roh wird der Folk dann über neun Lieder hinweg ins Psychedelische getrieben. Adrienne Lenkers Texte vermitteln dabei schmerzvoll intime, mystische Bilder, während ihre zerbrechliche Stimme mit den Instrumenten verschmilzt. Weniger greifbar als das letzte, in Americana-Flair getränkte Album wirkt das alles – aber voller Emotion, Tiefe, Trost. (lia) ●●●
Für Fans von: Alice Phoebe Lou
Bester Song: How Could I Have Known