Country mal anders
Julien Baker & Torres erzählen aus queerer Perspektive. Außerdem reingehört haben wir auch bei Jiska, Djo, Dead Pioneers und Craig Finn.

Von Steffen Rüth
Ja, Julien Baker (29) und Torres alias Mackenzie Ruth Scott (34), von Haus aus beide dem Indiepop bis -rock zugetan, haben ein Countryalbum aufgenommen. Aber bevor jetzt alle murren – Muss das sein? Gibt’s nicht schon genug Künstlerinnen und Künstler, die auf diesen scheinbaren Schnellzug ins Kommerzglück aufspringen? –, "Send A Prayer My Way" ist von allererster Güte. Seine Schöpferinnen verfügen über ein exquisites Händchen für ausziselierte Harmonien. Was Torres (geboren in Florida, wohnhaft in Nashville) bereits auf sechs Soloalben und Julien Baker (geboren in Tennessee, wohnhaft in Los Angeles) alleine und zuletzt als Teil der genialen Drei-Grammys-Band Boygenius (mit Phoebe Bridgers und Bakers Lebensgefährtin Lucy Dacus) bewiesen haben.
Geplant war die Kollaboration der beiden Südstaaten-Musikerinnen seit sie sich 2016 bei einem Konzert in Chicago kennenlernten. Einige Jahre zogen ins Land. 2022 war das Album dann fertig – wurde aber noch unter Verschluss gehalten, "weil wir nicht wollten, dass es quasi von Boygenius abgewürgt wird", erklärt Julien Baker. Nun ist die Zeit reif für "Send A Prayer My Way" – steht der Wind doch recht günstig, da Country selbst von so coolen Leuten wie Beyoncé, Chappell Roan, Lana Del Rey oder Post Malone gespielt wird. "Uns ist es fast schon unangenehm, dass Country so angesagt ist", bekennt Torres. "Wir wollen auf keinen Fall den Eindruck erwecken, wir würden uns irgendwo dranhängen." Tun sie nicht. Auf zwölf Titel verteilt finden Julien Baker und Torres ihren eigenen Zugang zur handgemachten Musik mit Pedal Steel, Violine und Banjo.
Dass Baker mit den Songs von Shania Twain groß wurde, hört man im famosen Liebeslied "Sugar In The Tank" dennoch. Und auch Torres kann ihre Begeisterung für The Chicks oder Faith Hill nicht verbergen, wie das schwungvolle "The Only Marble I’ve Got Left" dokumentiert. "Uns war lange nicht klar, ob wir in der Countrymusik überhaupt einen Platz haben", sagt Torres, die nichtbinär und mit einer Frau verheiratet ist, Baker ist lesbisch. "Aber nun spüren wir, dass unser Beitrag, unser Blick aus der queeren Perspektive tatsächlich sehr willkommen ist."
Zwar tun sich mitunter auch Abgründe auf wie in "Bottom Of A Bottle" (Baker hatte in ihrer Jugend mit Abhängigkeiten zu kämpfen). Doch der Grundton des Albums bleibt ein empathischer, das Leben bei den Hörnern packender. Und der beste Song fällt nochmal aus allen Kategorien: "Sylvia" handelt von Torres’ heißgeliebter Hündin und dem schlechten Gewissen, nicht jede Minute mit ihr verbringen zu können.
Info: "Send A Prayer My Way" erscheint diesen Freitag. Aktuell touren Julien Baker & Torres durch die USA.
Bryan Ferry und mehr. Hier geht es zum Sound der letzten Woche.
Sound der Woche
Jiska
Socially Awkward
Indiepop Manchmal klingt’s, als würden sie Australier imitieren und dabei Erdnussbutter naschen – so genüsslich machen sich die Stars der Indiepopszene über Vokale her. Ein Phänomen, das mit "Cursive Singing" einen Namen bekommen hat, und auf Insta und Co. ebenso genüsslich durch den Kakao gezogen wird. Auch Jana Franziska Binder alias Jiska macht aus "shame" gerne "shayaym". Aber die lässige Aussprache passt zu den sommerlich leichten Sounds, die sie auf ihrem Debütalbum auftischt. Mit viel Soul in der Stimme verwandelt die Bass spielende Schwäbin Alltagsbegegnungen in selbstironischen, geschmackvoll angejazzten Indiepop. Wer mitgenießen möchte: Am 6. Mai kommt Jiska in die halle02. (dasch) ●●
Für Fans von: Lily Allen, Rikas
Bester Song: Run Boy Run
Djo
The Crux
Indierock Bekannt als Steve Harrington aus der Netflix-Serie "Stranger Things" und dank des TikTok-Hits "End Of Beginning" macht Joe Keery als Djo grundsoliden Indierock mit Popanleihen. "The Crux", sein inzwischen drittes Album, bleibt angenehm unaufgeregt, wenn nicht ein bisschen langweilig. Djo wandert entlang Beatles-Hommagen, Strokes-Anleihen und 2000er-Pop durch die Musikgeschichte. Und ab und an bleiben seine Songs sogar richtig im Ohr hängen. (han) ●
Für Fans von: Suki Waterhouse
Bester Song: Delete Ya
Dead Pioneers
Po$t American
Punkrock Sie werden es bis in alle Ewigkeit dazusagen müssen: Als dieses Album geschrieben und produziert wurde, war Donald Trump noch nicht gewählt. Die 15 Songs – teils eher Skizzen – über Raubtierkapitalismus, weißen Überlegenheitswahn, Waffengewalt und Sexismus klingen dennoch wie eine Vorahnung von Amerika im Jahr 2025. Das macht die krachenden Punkakkorde und düsteren Spoken-Word-Passagen nicht leichter verdaulich, aber umso relevanter. (hol) ●●
Für Fans von: Beatsteaks
Bester Song: The Caucasity
Craig Finn
Always Been
Songwriter Gut, dass es sie gibt, die Geschichtenerzähler. Die Bob Dylans, Lou Reeds, Becks oder Josh Ritters, die die Kunst des Sprechgesangs so trefflich beherrschen, dass man intuitiv die Lauscher spitzt – selbst, wenn man ihren Texten nicht immer folgen kann. Craig Finn ist auch so einer. Mit der Stammband Hold Steady lässt er es krachen. Auf seinem Solowerk "Always Been" räumt der in Minnesota aufgewachsene New Yorker den Storys Raum zur Entfaltung ein. Er erzählt von den Frühinsbettgehern "Luke & Leanna", den "People Of Substance", mit denen Dana abhängt, oder der Abendsonne, die sich blutrot auf "Bethany" herabsenkt. Man hört dem 53-Jährigen gerne zu – bis man immer müder wird ... (dasch) ●●
Für Fans von: The War On Drugs
Bester Song: Bethany