Plus "Ring des Nibelungen"

Regisseur Schwarz setzt mit "Siegfried" Missbrauchsgeschichte fort

Es wird leider nicht besser: Die Umdeutung des Regisseurs Valentin Schwarz bei den Bayreuther Festspielen kommt nicht überall gut an.

05.08.2022 UPDATE: 05.08.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 40 Sekunden
Ringen stimmlich und darstellerisch um den neuen Bayreuther „Ring“ (von links): Andreas Schlager als Siegfried mit Igor Schwab (Grane) und Daniela Köhler (Brünnhilde) in einer „Siegfried“-Szene. Foto: Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth

Von Thomas Rothkegel

Bayreuth. Die Handlung des "Rings des Nibelungen" wollte Regisseur Valentin Schwarz überschreiben, um bei den Bayreuther Festspielen dem Mythos alles Mythische auszutreiben: weg mit Feuerzauber, Speer, Schwert, Riesen, Zwergen und Göttern. Statt dessen sollten Menschen einer gestörten Großfamilie und deren psychologische Entwicklung gezeigt werden.

Doch Text und Musik des dritten Abends des Wagnerschen Vierteilers sind so mythisch wie kaum ein anderer. Da gibt es nun mal etwa die Schmelz- und Schmiedelieder des Titelhelden, der sich aus den zerbrochenen Stücken des Schwertes seines Vaters eine neue Waffe schmiedet. Was tun, wenn es keine Schwerter, sondern nur Knarren geben darf? Valentin Schwarz entscheidet sich fürs Pragmatische: Was interessiert mich mein Regieansatz von gestern? Siegfried schmiedet nun doch, funkensprühend wie bei einem Feuerwerk. Später erwacht Brünnhilde, die Wotan am Abend zuvor ohne Feuerzauber in den Schlaf gelegt hat, im goldenen Licht in einem engelsgleichen Faltenkleid. Entweder sind dem Regieteam keine entmythologisierenden Bilder eingefallen, oder aber diese Brüche der Konzeption sind ihm egal.

Das ist ausgesprochen schade, denn die Personenregie ist ausgefeilt. Mime hat sich mit seinem Ziehsohn Siegfried in der ehemaligen Behausung Hundings eingenistet. Zum Kindergeburtstag für den gar nicht mehr Kleinen führt Mime in einem Kasperltheater die Lebensgeschichte Siegfrieds vor. Der sitzt davor mit Puppen, die seine Familie verkörpern: Siegmund, Sieglinde, Hagen, Brünnhilde und schließlich Siegfried selbst, eine Familienaufstellung.

Nachdem der Hobbyschmied Siegfried sein Schwert geschweißt hat, schlägt er mit ihm wie ein Berserker um sich und zerstört alle Puppen. Ein Akt der Emanzipation. Den hat er auch dringend nötig. Denn er wird von Mime als 24-Stunden-Pflege missbraucht. Er muss ihn waschen, an unangenehmen Stellen mit Latexhandschuhen. Das ist erschütternd zu sehen, zumal es eine Parallelszene gibt: Auch Fafner ist ein Pflegefall und wird vom stummen postgelben Hagen und zwei weiblichen Pflegekräften betreut. Dass der Alte einer jungen Pflegerin an die Wäsche geht, zeigt auch hier: In dieser dysfunktionalen Familie missbraucht die ältere die jüngere Generation.

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Dieser Ansatz ist spannend, denn er passt tatsächlich zu Wagners "Ring"-Kosmos. Wotan zeugt Siegmund und Sieglinde, damit ihm der Sohn den Ring zurückholt. Alberich zeugt Hagen mit demselben Gedanken. Gegen die Funktionalisierung der jüngeren Generation durch die ältere revoltiert Siegfried. Wenn die Regie dieses Konzept stringent umgesetzt hätte, wäre eine spannende Produktion entstanden. Doch durch die zusammenhanglose Mischung von Mythos und Psychologie und durch fehlende Berücksichtigung der Chronologie der verschiedenen Generationen in der Ring-Familie entwertet das Regietalent seine Ideen und macht aus dem "Ring" einen schwer verdaulichen Eintopf.

Musikalisch ist eine deutliche Entwicklung festzustellen. Cornelius Meister wählt ausgesprochen zügige, ja bisweilen rasende Tempi, und lässt mehr und mehr die Farbigkeit von Wagners Partitur strahlen. Andreas Schlager in der Titelrolle hat Kraft und Stahl in der Stimme, um diese Partie locker zu meistern. Bei Piano-Passagen, dem "Waldweben" etwa, fehlen ihm dann aber das lyrisch fließende Legato und auch die Intonationssicherheit. Die erwachende Brünnhilde an seiner Seite sang anrührend Daniela Köhler.

Die junge Hochdramatische war gerade am Mannheimer Nationaltheater als Senta im "Fliegenden Holländer" zu erleben. Sie hat eine sehr jugendliche, bewegliche Stimme, die allerdings vor allem in der Höhe und im Forte zur Schärfe neigt.

Auch mit Mannheim eng verbandelt ist Tomasz Konieczny, der 2002 bis 2006 zum Ensemble des Nationaltheaters gehörte. Er sang – nach dem Bühnenunfall in der "Walküre" wieder genesen – den zum Wanderer gewandelten Göttervater Wotan. Er kann seinen ausgesprochen schön und warm timbrierter Bassbariton zwar weich fließen lassen, jedoch ist seine Artikulation und Textverständlichkeit ein großes Manko. Bariton Olafur Sigurdarson und Tenor Arnold Bezuyen sangen das Brüderpaar Alberich und Mime. Die stimmgewaltige Okka von der Damerau machte aus ihrem kleinen Auftritt der Erda eine beeindruckende Szene. Wilhelm Schwinghammers kraftvoller Bass wollte nicht ganz zum siechen Fafner mit Pflegestufe 4 passen.

Sowohl Fafners Behausung als auch Brünnhildes Walkürenfelsen sind im Gebäudekomplex Walhalls angesiedelt: Klar, Wotan ist ja als Wanderer ausgezogen. Dort entdeckt Siegfried auch den inzwischen erwachsenen postgelben Knaben, den Fafner (als Ring) in seine Höhle verschleppt hat. Siegfried nimmt ihn mit sich zum Walkürenfelsen, wo er Zeuge wird, wie der Held seine Braut gewinnt. Gegen Ende verschwindet der Postler, um zu den letzten Takten das Hochzeitsauto aus der Garage zu fahren: "Hol schon mal den Wagen, Hagen".

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