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Alphaville lässt es krachen

Zusammen mit dem Filmorchester Babelsberg liefert die Synthiepop-Band ein Finale für die Ewigkeit. Ab und an regiert im Rosengarten aber auch der Kitsch.

07.12.2023 UPDATE: 06.12.2023 17:00 Uhr 2 Minuten, 42 Sekunden
Marian Gold hat auch mit 69 nicht an Stimmgewalt eingebüßt. In Mannheim berauscht er sich trotzdem an der Vergangenheit. Foto: vaf

Von Daniel Schottmüller

Mannheim. Vielleicht ist ja doch was dran. Von "Kraftlinien" hat Marian Gold gerade gesprochen, von Inspirationsbahnen, die sich durch das Universum ziehen. Hat man das Glück, zur richtigen Zeit an einer Kreuzung zweier solcher Linien zu stehen, passiert’s. "Und dann ist es egal, ob du dir ein Ei brätst, oder einen Song schreibst: Du kannst nichts falsch machen!" Nun hat der füllige Vollbartträger in den vergangenen zwei Stunden so einiges von sich gegeben. Bedeutungsschwangere Sätze wie: "Die Zukunft wird immer da sein." Oder: "All diese Lieder habt ihr, das Publikum, geschrieben." Und natürlich: "Wir müssen die Welt retten, wir müssen das hinkriegen!"

Die Theorie von der Inspirationskreuzung lässt sich aber nicht ganz so einfach ignorieren. Vor allem, wenn man erlebt, wie der Rosengarten auf die sanften Streicherakkorde reagiert, die jetzt einsetzen: Alles erhebt sich, als wäre eine Schweigeminute verordnet worden. Einige zücken instinktiv ihre Handys, die meisten aber nehmen sich in die Arme. Und dann singen sie, als wäre es das Letzte, was sie tun: "Let’s dance in style, let’s dance for a while / heaven can wait, we’re only watching the skies …" Wow! Doch gut, dass die drei Punks in ihrem versifften Probenkeller in Ostwestfalen – so beschreibt Gold die Anfänge von Alphaville – sich vor 40 Jahren kein Omelett gebrutzelt, sondern diesen Song komponiert haben: "Forever Young".

Genauso hieß auch das Debütalbum, mit dem die Münsteraner ein Jahr darauf einschlugen. Die Eruption, die die Scheibe 1984 auslöste, wummste das Keyboard-Keyboard-Gesangs-Trio an die Spitze der deutschen, britischen und amerikanischen Charts. Und: Der Titelsong und die beiden Synthiepop-Kracher "Big In Japan" und "Sounds Like A Melody" haben auch Jahrzehnte später noch Strahlkraft genug, um den Mozartsaal des Mannheimer Rosengartens zu füllen. Denn mal ehrlich: Weltbewegendes haben Alphaville seitdem nicht mehr fabriziert. Vielleicht auch deshalb hat sich Mastermind Marian Gold als letzter Verbliebener des Ursprungstrios zum 40. Gruppengeburtstag Unterstützung auf die Bühne geladen.

Hinter der fünfköpfigen Band und den zwei Background-Sängerinnen hat an diesem Abend das Filmorchester Babelsberg (Leitung: Christian Köhler) Platz genommen. Eine spannende Kombi. Denn während Deep Purple, die Scorpions oder Metallica längst bewiesen haben, dass Hardrock-Bands und Sinfonieorchester wirkungsvoll zusammenspielen können, ist das im Falle Synthiepop nicht so offensichtlich. Funktioniert ein blubbernder Song wie "Big In Japan", zu dem die Teenies in den Achtzigern ihre Autoscooter-Runden drehten, mit Pauken und Trompeten?

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Die Antwort: ja! Tatsächlich kommt die zwielichtige Bahnhof-Zoo-Szene, die der Text beschreibt, jetzt dramatischer zur Geltung (episch: der Gong zum Schluss). Auch "Victory Of Love", ebenfalls während Alphavilles Westberlin-Zeit komponiert, wird durch die schwelgenden Streicher zum Crowd-Pleaser. Inspiriert habe Bernd Lloyd, Frank Mertens und ihn eine Partynacht, verrät der 69-jährige Sänger. Die fand darin ihr Ende, dass man "angeturned und stoned" in einem Klapper-VW wieder und wieder im Kreisel um die Siegessäule fuhr. Lachen im mehrheitlich gleichaltrigen Publikum. Schade, dass dieser sonst so salbungsvoll sprechende Herr im Anzug nicht öfter die Selbstironie aufblitzen lässt.

Seine Stimme weiß er zum Glück immer noch einzusetzen. Zum Sinatra-Bigband-Sound von "A Summer’s Night" brummt Gold sonor im Bass. Für den Bond-Song "Diamonds Are Forever" (das einzige Cover) schraubt er sich dagegen bis ins Falsett hoch. Neben ihm darf die Oboe glänzen, bis die Blechbläser das 007-Thema nach Hause knattern. Stark kommt Golds inzwischen dunkler gefärbte Stimme auch bei "Sounds Like A Melody" zur Geltung. Statt überkippend-exaltiert klingt er rockig, direkt.

Allerdings: Während das Konzert durchaus Erinnerungen an Vangelis und Pink Floyd wachruft, sackt es in weniger gelungenen Momenten in Richtung Disney- oder ESC-Kitsch ab. Vielleicht auch, weil Gold den Klangteppich des Filmorchesters dafür nutzt, sein eigenes Biopic auszubreiten. Wenn der Frontmann Liebesschwüre an die alten Bandkollegen flüstert, seinem verstorbenen Vater salutiert, ein fisteliges Spieluhr-Lied für "alle Kinder" anstimmt oder Qi-Gong-artige Sperenzchen vollführt, wundert man sich nicht, dass er unlängst bei Flori Silbereisen aufgetreten ist.

Performt haben Gold und Co. auch da "Forever Young". Die Ewigkeitshymne, die zuvor schon Bearbeitungen von Karel Gott über Bushido und Kim Wilde bis hin zu Jay-Z, Beyoncé und den Goldenen Zitronen überstanden hat, ist halt einfach unkaputtbar. Ja, als die Röhrenglocken im blauen Bühnenlicht den finalen Refrain einläuten, meint man, dass der von Zukunftsangst beseelte Text dieser Tage sogar noch einmal an Bedeutung gewonnen hat. Kraftlinien hin oder her ...

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