Plus Maifeld Derby

Diese Newcomer gaben den Ton an

Das Mannheimer Musikfestival hat am Wochenende verstärkt auf Frauen und Hip-Hop-Acts gesetzt. Ein japanisches Slapstick-Lauten-Spektakel überzeugte dabei besonders.

20.06.2023 UPDATE: 19.06.2023 13:13 Uhr 2 Minuten, 56 Sekunden
Musik, in die man sich hineinfallen lassen kann: Say She She aus Brooklyn. Foto: M. Partner

Von Marco Partner

Mannheim. Nostalgie, magische Momente und humorvolle Noten: Das Maifeld Derby lockte in seiner zwölften Auflage nicht mit großen Namen, dafür mit einem Hauch "Back to the 2000s" und überraschender Ästhetik. Hier tänzelte die Sängerin Bat For Lashes feengleich im Ballettkostüm über die Bühne, da schwelgten die US-Girls von Warpaint und die Retro-Boys von Interpol in Post-Punk-Erinnerungen. Für die ganz große Festivalfurore aber sorgte eine fast vergessene Band aus Frankreich, die am Samstagabend das Zepter übernahm – und alle vereinte.

Palastzelt, kurz nach 23 Uhr: Unter Stroboskopgeflimmer und Synthi-Klängen steigen Phoenix aus dem Bühnennebel empor wie der mythische Vogel aus der Asche. Was am zweiten Festival-Tag etwas gefehlt hat, der zündende Funke, der auf nahezu alle Besucher überspringt, funktioniert bei den French-Indie-Poppern aus Versailles vom ersten Keyboard- und Gitarrenakkord an. "Lisztomanie", der Hit von 2009, wirkt so frisch und elektrisch aufpoliert, als wäre er gerade erst entstanden. Ob Pop-, Electro-, Rap- oder Punkfan: Von der ersten bis zur hintersten Reihe tanzt die Meute zu den 80er-Jahre-Vibes der mit ihrem Album "Alpha Zulu" stark zurückgekehrten Renaissance-Künstler. Ein Auftritt, der einmal mehr das geschickte Händchen von Festivalmacher Timo Kumpf unter Beweis stellt. Während die Schwesterfestivals Southside und Hurricane über die Jahre hinweg immer wieder die gleichen bekannten Namen präsentieren, macht das Indietreffen vor den Toren Mannheims sein eigenes Ding. Das Derby setzt nicht auf Bekanntheitsgrade, die feine Auswahl an Künstlern sind das Salz der Suppe. Selbst Headliner wie Phoenix oder M83 kennt nicht jeder, aber auf der dreitägigen Entdeckungstour kann man den französischen Dream-Pop und all die neuen Bands aus den USA und England lieben lernen. Was man vorfindet? Musik in allen Farben und Formen und den Joe-Cocker-Effekt – wenn eine Stimme einen sofort in den Bann zieht.

Dabei fängt es mit schrägen Tönen an. Der "Chor für Menschen, die nicht singen können" eröffnet den musikalischen Reigen am Freitagnachmittag und braucht tatsächlich Hilfe von Freunden. Das Mannheimer Spaß-Projekt wirkt wie ein Ersatz für das beliebte Steckenpferd-Dressurreiten, bei dem an früheren Festivaltagen die Besucher selbst zu Akteuren wurden. Sanftere Klänge werden hingegen im Parcours d‘amour angeschlagen. Das Reitstadion auf dem Maimarktgelände ist die Kuschelecke des Derbys und Geheimtippzone der begnadeten Stimmen. Einfach auf den Schalensitzen Platz nehmen und sich berieseln lassen, durchschnaufen, aber auch mal ungeahnt mitgerissen werden: Barfuß, als hätte er noch pazifischen Sand zwischen den Zehen, gibt Jack Botts aus Australien den Surf-Takt vor. Am Samstag ist es vor allem der Niederländer Whybe, der einen mit Gitarre und Gesang umhaut. Allenfalls überboten vom belgischen Barden Tamino, der mit seiner Falsett-Stimme auf der großen Open-Air-Bühne den Sonntagabend einläutet.

Was aber auffällt: Die Frauen geben den Ton an. Warpaint (bereits 2014 beim Maifeld Derby) überzeugen mit entrückt-beglückendem Psychedelic-Rock. Say She She aus Brooklyn kredenzen dann einen souligen Discodelic-Sound, singen von Empowerment und spielen Musik, in die man sich hineinfallen lassen kann. Während drinnen der Jubel verklingt, geht es draußen nahtlos weiter. Das Cumbia-Quartett Los Bitchos feuert scharfe Gitarrenrhythmen, für die es gar nicht heiß genug sein kann. Ganz anders wirkt da Bat For Lashes: 2007 und 2009 für den Mercury Prize nominiert, erinnert die Britin mit ihrer Kunst-Performance an Björk und bringt mit zarter Stimme und sphärischen Klängen die Sterne im Palastzelt zum Funkeln.

Im diesigen Hüttenzelt ist hingegen Zerstörung angesagt. Mit Zulu wird die härteste Band des Festivals angekündigt. Von ihrem Auftreten und Outfits her würde man hinter den schwarzen Musikern aus L.A. zu 100 Prozent ein Gangster-Rap-Format vermuten. Tatsächlich aber brechen sie die Klischees gleich doppelt und spielen Black Metal der anderen Art, was sofort zum Pogo animiert.

Folk, Punk, Electropop, mal laute, mal leise Töne: Es ist die Vielfalt der Musik, die den Reiz des Maifeld Derbys ausmacht. Ob fünf Minuten reinhören oder 50 Minuten genießen, immer wieder taucht man in Genres ein, von denen man noch nie etwas gehört hat. Wie HipTrash (Death Grips, USA), Noise-Dub-Rap (Agat, Israel) oder Grunge-Drum’n’Bass (Deki Alem, Schweden). Mit den aufstrebenden Rappern Loyle Carner aus London und Noga Erez aus Israel erhalten Hip-Hop-Künstler beim Maifeld einen immer größeren Raum.

Die heimlichen Stars aber stehen nicht fett gedruckt im Line-Up, kommen nicht aus den USA oder England, sondern aus Japan. Die Folk-Fusion-Truppe Mitsune erobert schnell die Herzen und macht vielleicht am besten die Seele des Festivals sichtbar. In traditionellen Gewändern und voller Slapstick-Einlagen spielen sie die Shamisen-Laute und werden zu Sympathieträgern. Die Sitzschalen im Reitstadion sind voll, der Beifall will kein Ende nehmen, die Band ist überwältigt. Es sind eben oft die kleinen, überraschenden Momente, die das Maifeld Derby zum Liebhaberfestival werden lassen.

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