"Literaturtage im Aufbruch"

Eröffnungsfeier mit klarer Botschaft an Heidelberg

Ziemlich heiß, ziemlich lang: Eröffnung der Heidelberger "Literaturtage im Aufbruch" im Spiegelzelt auf dem Universitätsplatz

22.06.2017 UPDATE: 23.06.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 1 Sekunde

Im tropisch heißen Spiegelzelt während der Eröffnung der Heidelberger Literaturtage: der Schriftsteller Durs Grünbein im Gespräch mit der Kritikerin Claudia Kramatschek. Foto: Philipp Rothe

Von Franz Schneider

"Es hat geklappt": Kulturamtsleiterin Andrea Edel war so glücklich, dass sie sich zur Begrüßung setzen musste. Viele gelbe Zettel des Dankes hatte sie dann vorzulesen, denn es sei gelungen, so ihr freudiges Fazit. Die Heidelberger Literaturtage im Aufbruch sind eröffnet, dank den Sponsoren, dank der Politik und dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es geht weiter im Zelt, wenn auch nordafrikanisch, wie Joachim Gerner lakonisch die dortigen Temperaturen einschätzte. Ein paar Gäste mehr hätten schon noch kommen können, aber wer wirklich wollte, war da.

Es kam auch Manfred Metzner, langjähriger Leiter der Literaturtage, bekanntlich jetzt ausgeschieden. Bewegt wünschte er sich weiterhin eine offene Diskussion und forderte mit Nachdruck mehr Geld von der Stadt, um das Projekt, Unesco City of Literature zu sein, wirklich zu realisieren. Applaus des Publikums. Wohlgesonnen zeigte es sich auch Giancarlo Sagramola gegenüber, Bürgermeister der von einem Erdbeben erschütterten italienischen Stadt Fabriano, ebenfalls im Unesco-Netzwerk der kreativen Städte. Ohne Mikro, aber im Anzug verwies er auf die Bedeutung seiner Stadt für die Papierschöpfung, "Papier bedeutet unsere Geschichte". Als Demonstration italienischer Handwerkskunst war darum ein mit Wasser gefüllter Bottich im Zelt aufgestellt, in den man gerne hineingesprungen wäre. Jesús Ortega, Projektleiter der Unesco-Kreativstadt Granada stimmte mit ein, indem er die Geschichte seiner Stadt mit derjenigen Heidelbergs in Bezug setzte und beiderseitige Schönheit, Emotionen und Intensität betonte.

Davor wurde noch ein unermüdlicher Kämpfer für das Buch gewürdigt, denn Roland Reuß bekam als Förderer des Buches die Ehrungsplakette vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels verliehen. Und weiter geht es mit ihm gegen den digitalen Schnickschnack! Was geht nicht mehr? Dass Nektarios Vlachopoulos endlich seine Hausarbeit bei Professor Reuß abgibt, dafür ist er ein schon zu erfolgreicher Slampoet. Im Zelt ging es bei seinem Auftritt um Liebe; danach wurde es bei ihm interkulturell und witzig zugleich, aber nicht nacherzählbar.

Die Musik haben die Heidelberger Literaturtage auch im Aufbruch nicht vergessen. Luca Tessadrellis Komposition "Tango Vigoroso" fand seine Uraufführung, sehr überzeugend dargeboten von Peer Findeisen am Piano und Dorothea von Albrecht am Cello. Zum Ende der eigentlichen Eröffnung sang Johanna Panizzi zudem ergreifend ihre eigene Vertonung von Ossip Mandelstams Poem "Meine Zeit, mein Tier".

Dann gab es Moderationsarbeit für die "mit Heidelberg verbandelte" Literaturkritkerin Claudia Kramatschek. Es erschien auf dem Podium Durs Grünbein und las aus "Zündkerzen", ein demnächst in Buchform zu habendes Werk über Artischocken, Pinien und Minotaurusfleisch. Er sei schon ein misanthropischer Humanist, bekannte er später, er liebe Sprachkollisionen und neige ein wenig zum Sarkasmus. Damit es nicht zu lyrisch und theoretisch wurde, steuerte Grünbein noch einige Kindheitserinnerungen bei und lieferte eine Beschreibung seiner Schreibstube.

Jetzt endlich kam einer noch dazu, Via Lewandowsky nämlich, Grünbeins Freund seit Jahrzehnten. Heute einer der ganz wichtigen deutschen Künstler, früher ein "Autoperforationsartist", soll frech gesagt heißen: Körperverunstalter. Grünbein war einst freiwilliges Opfer, es gibt ergreifende Bilddokumente. Echte Kunst bedeutet manchmal auch echten Ärger. Aber künstlerisch hat sich das für beide gelohnt. Sie sind Schöpfer des wohl bislang einzigen Wiedervereinigungsdenkmals, ein goldenes Riesenei, drapiert mit einem Haiku. Eine Freude für den Kunstkenner zu sehen, wie die beiden miteinander harmonieren. Mehr geht nur noch mit Flamenco.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.