Heidelberger Literaturtage

Eintauchen in eine fremde Welt

Shumona Sinha schwärmt vom Französischen - Christian Brückner von "Moby-Dick"

25.06.2017 UPDATE: 26.06.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 5 Sekunden

Shumona Sinha.

Foto: P. Normand

Von Philipp Janke

Im Gespräch mit Autoren wollen die meisten wissen, wie sie ihre Stimme gefunden haben. Damit meinen sie nicht etwa den Klang ihrer Worte, sondern ihre sprachliche Eigenart. Bei den Lesungen im Rahmen der Heidelberger Literaturtage ergeben sich häufig Synthesen dieser zwei Arten von Stimmen, so auch als Shumona Sinha auf Einladung des Deutsch-Französischen Kulturkreises im Spiegelzelt auf dem Universitätsplatz zu Gast war.

Die literarische Laufbahn der indischstämmigen Autorin ist durch und durch französisch geprägt, den Bezug zu ihren westbengalischen Wurzeln erhält Shumona Sinha jedoch aufrecht. So handelt ihr 2016 auf Deutsch erschienener Roman "Kalkutta" von der Rückkehr einer entfremdeten Tochter in ihre Heimatstadt anlässlich der Einäscherung ihres Vaters - ein erdrückend-melancholisches Stück Autobiografie, das von dem Gefühl geprägt ist, ein "Eindringling" in der eigenen Heimat zu sein. Die beschreibenden Passagen des Buchs, zuerst von der Autorin vorgetragen und dann beinahe hypnotisch in deutscher Übersetzung gelesen von der Schauspielerin Lisa Förster, wecken die Neugier des Publikums und der Moderatorin Erika Mursa am Werk der Autorin - und natürlich an ihrer künstlerischen Stimme.

Shumona Sinha steht gerne Rede und Antwort: Sie erzählt von ihrem frühen Zugang zur europäischen Literatur, berichtet von ihrem Masterstudium an der Sorbonne und philosophiert darüber, wie sich ihr "regard sur la vie", also ihre Lebensbetrachtung mit dem Übergang zum Französischen radikal gewandelt habe. "Für mich ist Literatur eine Perversion", verkündet die Autorin. Das sei nicht erotisch zu verstehen, sondern habe mit der "Transformation der Wirklichkeit" zu tun, die sich mit dem Eintauchen in eine fremde Welt vollziehe.

Die Sprache hält sie hierbei für wesentlich: Als sie versucht hatte, ihr erstes Buch auf Bengalisch zu schreiben, war sie kurz darauf in eine Schreibblockade geraten; der Schreibprozess habe sich angefühlt wie eine erzwungene Übersetzung vom Französischen, vergleichbar mit Wein, den man in einem Plastikbecher serviert bekommt.

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Literarische Puristen, die meinen, Übersetzungen sorgten immer für eine Verfälschung des Originals, hätten gut daran getan, Christian Brückners Lesung aus "Moby-Dick" zu besuchen. Der so anmoderierte "kühne Rezitator", der aus Spielfilmen auch als Synchron-Stimme bekannt ist, hat eine brennende Leidenschaft für Hörbücher. Es gäbe auch gar keine andere Erklärung dafür, dass jemand eine ungekürzte, 30-stündige Lesung von "Moby-Dick" in seinem eigenen Hörbuchverlag veröffentlicht hat.

Den dichten, mäandernden Sätzen Melvilles verleiht Brückner in seiner One-Man-Show eine Ausdruckskraft, an die keine innere Erzählstimme bei der privaten Lektüre herankäme. Die Zuhörer lauschen gebannt, wie sich das Händezucken des Vorlesers, das an den nervösen Tanz eines Slampoeten mit seinem Mikrofon erinnert, in eine seemännisch-kratzige Intonation gießt - und das, obwohl die Nonstop-Erzählstunde schon längst zu einer Herausforderung für deren Aufmerksamkeitsspanne geworden ist. Als Ich-Erzähler Ishmael trägt Brückner einen Trakt über den Stand des Walfängers in der Gesellschaft vor, und als Captain Ahab schreit, appelliert und reflektiert er vor seiner Crew von den "subtilen Dämonismen des Lebens und des Denkens", die der weiße Wal in dessen Augen verkörpert. Zum Schluss verinnerlicht er die Besessenheit des Kapitäns völlig und erhebt stöhnend seinen Arm zum Todesstoß mit der Harpune. Eine Stimme, die den ganzen Körper mitreißt - was für ein gelungener Abend.

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