Michael Endes Kinderbuch-Klassiker "Momo" auf der Bühne
Wehe, wenn uns die grauen Herren die Zeit abluchsen: Das Junge Theater Heidelberg lockt junges und jung gebliebenes Publikum an.

Von Elena Hartmann
Heidelberg. Wie viel Zeit verbringen Sie täglich mit Ihrer Familie oder Ihrem Freundeskreis? Bestimmt viel zu viel. Möchten nicht auch Sie anfangen, Zeit zu sparen? Solch ein Angebot machen die grauen Herren allen Menschen in der Stadt, in der Momo lebt. Michael Endes Kritik an der modernen, durchweg rationalisierten Gesellschaft bedarf eigentlich keiner weiteren Erklärung. Auf fast ironische Weise ist sie aktueller denn je.
Zu "Momo" strömt das junge und jung gebliebene Publikum in Scharen in den Alten Saal des Heidelberger Theaters. Das kleine Mädchen Momo, quirlig gespielt von Anna Sonnenschein, ist in der Stadtgesellschaft wohlbekannt und sehr beliebt. Sie hört allen zu, wodurch sich die meisten Sorgen in Luft auflösen. Irgendwann tauchen jedoch die grauen Herren (Hardy Emilian Jürgens, Morris Weckherlin) auf, und plötzlich wollen alle Erwachsenen "Zeit sparen".
Die bisher ausgelassene Stimmung verschwindet, während die grauen Herren immer einflussreicher werden. Mithilfe der Schildkröte Kassiopeia (Leonie Kohlhoff) gelingt es Momo aber, die Stadt aus dem Griff der Zeitsparkasse zu befreien und den Menschen ihre Zeit zurückzugeben.
Bühnenbild und Kostüme wurden von Annette Wolf mit viel Liebe gestaltet. Mit einfachen Mitteln erweckt das Ensemble des Jungen Theaters die verschiedenen Schauplätze zum Leben. Auch zeitgemäße Mittel wie Projektoren kommen in der stimmigen Inszenierung von Spartenleiterin Natascha Kalmbach zum Einsatz. Die vielen kleinen und großen Gäste sind begeistert und sehen sich mit offenen Mündern im Saal um, da der gesamte Raum zum Schauplatz wird.
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Besonders hervorzuheben sind die grauen Herren, die in Form von Projektionen in Erscheinung treten. Einerseits bringt dies ihr roboterhaftes Auftreten noch eindrucksvoller zu Geltung, was durch ihre mechanischen Stimmen zusätzlich verstärkt wird, andererseits ist es ein Wink an ihre Nicht-Existenz, als bloße Erscheinung, die nicht Teil unserer Welt ist.
"Momo" scheint seine Wirkmacht von Jahr zu Jahr stärker zu entfalten. Das Buch, auf dem Vita Hubers Familienstück basiert, erschien bereits 1973. Ende warnt darin vor der zunehmenden Rationalisierung der Gesellschaft. Rund 50 Jahre nach der Erstveröffentlichung scheinen die grauen Herren unsere Gesellschaft mehr denn je zu beherrschen.
Der Arbeitsdruck ist hoch, Elternbetreuung wird durch den Einsatz von Tablets ersetzt. Erschöpfungserscheinungen und Burnout erschweren das Familienleben. Die Gemeinschaft wird mehr und mehr durch egozentrisches Denken belastet. Deshalb geht "Momo" alle an. Konzipiert wurde die Vorstellung jedoch für Menschen ab sechs Jahren.