Heidelberger Frühling

So lief der Live-Stream-Auftakt

Das Musikfestival eröffnete mit einem digitalen Jubiläums-Notprogramm und bekam Glückwünsche aus aller Welt.

21.03.2021 UPDATE: 22.03.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 41 Sekunden
Anna Lucia Richter (Mitte) und das Schumann-Streichquartett während des Live-Streams zur Eröffnung des diesjährigen Online-Musikfestivals Heidelberger Frühling. Foto: Studio Visuell

Von Matthias Roth

Heidelberg. Fernsehen ist kein Theater, und ein Live-Stream ist kein Konzert. Wenn es eine Lehre gibt neben der Erfahrung der Leere in den Pandemie-Lockdowns, dann diese. Shoppen geht online, aber Musik, Ausstellung und Theater brauchen den akustischen Raum, die "analoge" Begegnung, den direkten Austausch. Auch das lehrt uns der Lockdown: Der Frühling ohne das Heidelberger Festival ist allenfalls schönes Wetter!

Das Musikfestival Heidelberger Frühling musste nun schon zum zweiten Mal abgesagt werden und schrumpfte auf ein digitales Notprogramm – jetzt auch in seinem Jubiläumsjahr: 25 Jahre nach dem Startschuss 1996 saß man jetzt zu Hause vor dem Laptop und schaute einem Eröffnungsgala-Stream zu, der weder Fest noch Gala, weder Konzert noch Event war, sondern einfach nur Notbehelf, Verzweiflungsrest, Frustrationsbeschleuniger.

Thorsten Schmidt. Foto: Studio Visuell

Nur ein Mouse-Klick weit entfernt: Die Facts aus Kassel, wo am selben Tag 6000 genehmigte Demonstrationsteilnehmer maskenlos erwartet und letztlich 20.000 geduldet werden. Ein Schlag ins Gesicht für jeden Konzertveranstalter, jeden Gastronom, jeden Theatermacher, und ein Tritt in den Hintern, um es deutlich zu sagen, für all jene, deren Pandemie-Konzepte zwar funktioniert haben – besser jedenfalls als in Schulen und Kitas oder an der Bushaltestelle – die aber von der Politik trotzdem zum Stillstand, zum Schweigen verdonnert und manche gar in den Bankrott getrieben wurden. Allen politischen Lippenbekenntnissen zum Trotz.

So blieb die Übertragung aus der Alten Aula der Heidelberger Universität trotz allen technischen Aufwands - das "Frühlings"-Team wurde zurecht für seine unermüdliche Arbeit gelobt - doch nur Konserve. Oder fühlte sich jedenfalls so an. Die Wut im Bauch jedenfalls kanalisierte sich virtuell genau in das, was der "Frühling" nie war oder sein wollte: (Online-) Mainstream.

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Was im Normalfall weder unerwähnt noch undiskutiert geblieben wäre, nämlich die kriminellen Ausschreitungen im Namen der Demokratie, blieben außen vor. Nie präsentierte sich der Frühling so "clean" wie hier, weder als im Kosovo Nato-Bomben fielen (1999), noch als 300.000 Schülerinnen und Schüler 2019 gegen die Klimapolitik demonstrierten. Der Heidelberger Frühling, das betonte Intendant Thorsten Schmidt im Gespräch mit Moderatorin Andreas Thilo, mischte sich immer ins wirkliche Leben ein, es ging ihm nie ausschließlich um künstlerische Fragen.

Oberbürgermeister Eckart Würzner lobte dieses Engagement, der Starbariton Thomas Hampson und mit ihm viele andere Künstler des Festivals, aber auch ehemalige Stipendiaten, schickten Handy-Videos mit Grüßen aus aller Welt. Hampson betonte die Kunst als "Lebensmittel", die Kritikerin Eleonore Büning beschwor den Gänsehaut-Effekt manchen Konzerts. Man begab sich also auf die Suche nach der verlorenen "Frühlings"-Zeit - und erhielt? Die unerträglichen Beschwichtigungen von Ministerin Theresia Bauer, die nicht müde wurde zu betonen, wie die Landesregierung "mit voller Energie" daran arbeite, "Kultur wieder möglich zu machen". Wie hoch oben die Kultur auf der Agenda der Politik steht, sieht man seit einem Jahr fast täglich. Warum nicht ein Konzert als Demo veranstalten? Mit Prokofieff gegen diese Pandemiepolitik, mit Mozart gegen den Musiklockdown, mit Klavieren gegen das Kunstmassaker? Genehmigungen wären jedenfalls garantiert.

Die Haupt-Sponsoren HeidelbergCement, SAS und MLP taten schließlich das einzig Angemessene in dieser erzwungenen Situation: Sie sprachen vom Geld. Das Geld, das es kostet, ein Festival nicht stattfinden zu lassen, das Geld, das Künstlern verloren geht, wenn sie nicht arbeiten dürfen. Sie stifteten den "Fonds Zukunftsmusik" und legten seinen Zweck noch einmal dar. Bravo und Danke!

Die Gespräche überwogen in diesem Stream, aber Musik gab es dann auch. Einer der langjährigen Weggefährten, der Pianist Igor Levit, ist wegen seiner politischen Statements selbst Menschen bekannt, die Beethoven nicht mögen. Er fand in dem Festival vor elf Jahren eine Heimat und in Thorsten Schmidt einen Lebensfreund. Nun spielte er sanftmütig-eklektisch Spätromantisches von Fred Hersch (*1955).

Die Mezzosopranistin Anna Lucia Richter und das Schumann-Streichquartett berührten dagegen mit Preziosen von Gustav Mahler: Das Lied "Ich atme einen Lindenduft" als Uraufführung der Bearbeitung von Stefan Heucke wurde so atemberaubend innig vorgetragen, dass es einen wirklich schmerzte, nicht in der Alten Aula zu sitzen: Es machte die ganze scheußliche Lage noch deutlicher und platzierte mit jedem dieser feinen Töne kräftige Stiche mitten ins Herz. Man blieb traurig zurück in der Hoffnung auf die kommenden Jahre.

Zwei "Frühlings"-Jahrgänge gestrichen bedeutet auch: das wahre Jubiläum findet erst noch statt! Dann vielleicht wieder in der Stadthalle, mit echten Menschen, famosen Künstlern, langem Verkehrsstau - und viel Champagner!

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