Heidelberg

Kulturszene sorgt sich um Unesco-Label

Zum Schmähgedicht gegen die geplanten Literaturkürzungen.

15.10.2021 UPDATE: 17.10.2021 06:00 Uhr 1 Minute, 3 Sekunden
Die kreative Szene sorgt sich um das 2014 verliehene Unesco-Label. Foto: Peter Dorn

Heidelberg. (voe) Die Empörung ist immer noch groß. Seitdem Ende September bekannt wurde, dass auf SPD-Antrag und mit Billigung der Grünen im Gemeinderat die Mittel für die Unesco-Netzwerkarbeit der Literaturstadt Heidelberg und für die Literaturtage gekürzt werden sollen, ist die Kulturszene in Aufruhr. Für beide Bereiche sollen 60.000 Euro im Doppelhaushalt der Stadt eingespart werden, im Gegenzug will man die Aktivitäten der Rainbow-City fördern.

Hintergrund

Alt-Heidelberg, du feine Scheiße Eine Liebeserklärung

Von belmonte

Alt-Heidelberg, du feine Scheiße

Ehre deinen Gestank

Den Dreck deiner Straßen

Deine Ratten

Und deine zerbrochenen Fensterscheiben

Ehre deine

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Alt-Heidelberg, du feine Scheiße Eine Liebeserklärung

Von belmonte

Alt-Heidelberg, du feine Scheiße

Ehre deinen Gestank

Den Dreck deiner Straßen

Deine Ratten

Und deine zerbrochenen Fensterscheiben

Ehre deine Selbstmörder


Das schönste, was du hast

Sind deine Gewerbegebiete

Die öden Hallen und blanken Möbelhäuser

Hähnchenbuden und Autohöker

Die Werkstätten in elenden Hinterhöfen


Die öligen Unterführungen

Und kaputten Gleise

Merkst du eigentlich

Dass auch deine Neubaugebiete

In zwanzig Jahren Ghettos sind


Dein feines Schloss ist völlig fake

Anstatt es jährlich mehrfach

abzufackeln

Solltest du lieber deine Altstadt

Niederreißen und neu errichten


Ihr sauberen Anwälte

Und Fachlehrer

Ihr privatierten Ärzte

Die auf die kleinen Leute spucken

Ihr malt euch grün an


Und bleibt doch alle bei demselben Fuck

Ihr geht mir alle aufn Sack

Dein bekacktes Neuenheim

Ist in Wahrheit ein Altenheim


Ach Heidelberg, du kleine

Machst groß auf Dichtung

Und streichst beim ersten Gegenwind

Die literarischen Segel aus dem Budget


Wenn deine Dichter erst fort sind

Bleibt nur ein faulender Vorort


Bekommst es nicht mal hin

Deine normannischen Nazis rauszuschmeißen


Während deine höflichen Bewohner

Auf den Hängen Blumen

Und Sonnenuntergänge fotografieren

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Als dieser Plan publik wurde, protestierten rund 50 in einer Online-Konferenz zusammengeschalteten Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und weitere Mitstreiter der Szene. Daraufhin ruderte Derek Cofie-Nunoo von den Grünen zurück und schrieb, der Antrag stamme nicht von seiner Partei, sondern von der SPD. Das jedoch war eine Nebelkerze, denn die Grünen hatten mitgestimmt. Die SPD wiederum rechtfertigte sich in einer weiteren Presseerklärung und verwies auf den "Sozialfonds Corona", der auch bedrängten Literaten zugutekomme. Noch eine Nebelkerze.

Kommenden Dienstag wollen die betroffenen Autoren und Veranstalter im Karlstorbahnhof auf die "Fehlleistungen" des Gemeinderats aufmerksam machen, teilte der Germanistik-Professor Roland Reuß der RNZ mit. Gemeinsam wurde eine Unterschriftenliste zusammengestellt, unterschrieben von zahlreichen Autoren, aber auch von der Präsidentin des European Writers’ Council, Nina George, vom Chef der Frankfurter Buchmesse, Juergen Boos, und von Literaturwissenschaftlern Helmuth Kiesel und Dieter Borchmeyer. Alle warnen davor, dass Heidelberg das prestigeträchtige Label als Unesco-Literaturstadt aberkannt werden könnte.

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Das hier veröffentlichte Schmähgedicht des aus Hamburg stammenden, aber seit Mitte der 90er Jahre in Heidelberg lebenden Schriftstellers belmonte spielt auf Joseph Victor von Scheffels Hymne "Alt Heidelberg" an. Die Wortwahl des lyrischen Pamphlets gegen die Literatur-Kürzungen erinnert an Charles Bukowski oder an Jan Böhmermanns Anti-Erdogan-Gedicht. belmonte ist Co-Sprecher der Autorinnen und Autoren der Unesco City of Literature Heidelberg.

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