Kulturszene sorgt sich um Unesco-Label
Zum Schmähgedicht gegen die geplanten Literaturkürzungen.

Heidelberg. (voe) Die Empörung ist immer noch groß. Seitdem Ende September bekannt wurde, dass auf SPD-Antrag und mit Billigung der Grünen im Gemeinderat die Mittel für die Unesco-Netzwerkarbeit der Literaturstadt Heidelberg und für die Literaturtage gekürzt werden sollen, ist die Kulturszene in Aufruhr. Für beide Bereiche sollen 60.000 Euro im Doppelhaushalt der Stadt eingespart werden, im Gegenzug will man die Aktivitäten der Rainbow-City fördern.
Hintergrund
Alt-Heidelberg, du feine Scheiße Eine Liebeserklärung
Von belmonte
Alt-Heidelberg, du feine Scheiße
Ehre deinen Gestank
Den Dreck deiner Straßen
Deine Ratten
Und deine zerbrochenen Fensterscheiben
Ehre deine
Alt-Heidelberg, du feine Scheiße Eine Liebeserklärung
Von belmonte
Alt-Heidelberg, du feine Scheiße
Ehre deinen Gestank
Den Dreck deiner Straßen
Deine Ratten
Und deine zerbrochenen Fensterscheiben
Ehre deine Selbstmörder
Das schönste, was du hast
Sind deine Gewerbegebiete
Die öden Hallen und blanken Möbelhäuser
Hähnchenbuden und Autohöker
Die Werkstätten in elenden Hinterhöfen
Die öligen Unterführungen
Und kaputten Gleise
Merkst du eigentlich
Dass auch deine Neubaugebiete
In zwanzig Jahren Ghettos sind
Dein feines Schloss ist völlig fake
Anstatt es jährlich mehrfach
abzufackeln
Solltest du lieber deine Altstadt
Niederreißen und neu errichten
Ihr sauberen Anwälte
Und Fachlehrer
Ihr privatierten Ärzte
Die auf die kleinen Leute spucken
Ihr malt euch grün an
Und bleibt doch alle bei demselben Fuck
Ihr geht mir alle aufn Sack
Dein bekacktes Neuenheim
Ist in Wahrheit ein Altenheim
Ach Heidelberg, du kleine
Machst groß auf Dichtung
Und streichst beim ersten Gegenwind
Die literarischen Segel aus dem Budget
Wenn deine Dichter erst fort sind
Bleibt nur ein faulender Vorort
Bekommst es nicht mal hin
Deine normannischen Nazis rauszuschmeißen
Während deine höflichen Bewohner
Auf den Hängen Blumen
Und Sonnenuntergänge fotografieren
Als dieser Plan publik wurde, protestierten rund 50 in einer Online-Konferenz zusammengeschalteten Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und weitere Mitstreiter der Szene. Daraufhin ruderte Derek Cofie-Nunoo von den Grünen zurück und schrieb, der Antrag stamme nicht von seiner Partei, sondern von der SPD. Das jedoch war eine Nebelkerze, denn die Grünen hatten mitgestimmt. Die SPD wiederum rechtfertigte sich in einer weiteren Presseerklärung und verwies auf den "Sozialfonds Corona", der auch bedrängten Literaten zugutekomme. Noch eine Nebelkerze.
Kommenden Dienstag wollen die betroffenen Autoren und Veranstalter im Karlstorbahnhof auf die "Fehlleistungen" des Gemeinderats aufmerksam machen, teilte der Germanistik-Professor Roland Reuß der RNZ mit. Gemeinsam wurde eine Unterschriftenliste zusammengestellt, unterschrieben von zahlreichen Autoren, aber auch von der Präsidentin des European Writers’ Council, Nina George, vom Chef der Frankfurter Buchmesse, Juergen Boos, und von Literaturwissenschaftlern Helmuth Kiesel und Dieter Borchmeyer. Alle warnen davor, dass Heidelberg das prestigeträchtige Label als Unesco-Literaturstadt aberkannt werden könnte.
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Das hier veröffentlichte Schmähgedicht des aus Hamburg stammenden, aber seit Mitte der 90er Jahre in Heidelberg lebenden Schriftstellers belmonte spielt auf Joseph Victor von Scheffels Hymne "Alt Heidelberg" an. Die Wortwahl des lyrischen Pamphlets gegen die Literatur-Kürzungen erinnert an Charles Bukowski oder an Jan Böhmermanns Anti-Erdogan-Gedicht. belmonte ist Co-Sprecher der Autorinnen und Autoren der Unesco City of Literature Heidelberg.



