Faust (Stefan Eichberg) und Gretchen (Romy Klötzel) in Heilbronn. Foto: Candy Welz
Von Brigitte Fritz-Kador
Heilbronn. Welcher Regisseur, der Goethes "Faust" inszeniert, tut dies nicht in der erklärten Absicht einer Neuinterpretation? Als solche war auch die Inszenierung von Malte Kreutzfeldt am Theater Heilbronn angekündigt. Eigentlich ein leichtes Spiel vor dem Hintergrund, dass es eine "gültige" Interpretation nicht gibt und auch nicht geben kann, nicht einmal die von Gustav Gründgens mit ihm als Mephisto und Will Quadflieg als Faust, lange Zeit dafür gehalten, will man heute noch als solche betrachten.
Kreutzfeldt hat es in Heilbronn mit einem Dreierschlag versucht: als Regisseur, als Bühnenbildner (mit Nina Sievers) und für die Musik Verantwortlicher – und angeblich auch noch mit Hesses "Steppenwolf" im Hinterkopf, den er letztes Jahr hier auf die Bühne brachte.
Er beginnt mit einer Volte: Das Vorspiel auf dem Theater ist ein Vorspiel im Foyer, und während das Publikum in den Saal strömt, steht schon ein halb abgewandter Faust auf der leeren Bühne. Das wird sich als symbolhaft für den ganzen Abend erweisen: So richtig zugewandt, als Mensch zu Mensch, wird Faust nie über die Rampe kommen.
Dafür hält sich Kreutzfeldt fast wörtlich daran, was er aus dem Vorspiel-Text gestrichen hat, immerhin eine Art "Regie-Anweisung" Goethes: "Ihr wisst, auf unsern deutschen Bühnen/ Probiert ein jeder, was er mag;/ Drum schonet mir an diesem Tag/ Prospekte nicht und nicht Maschinen/ Gebraucht das groß und kleine Himmelslicht,/ Die Sterne dürfet ihr verschwenden;/ An Wasser, Feuer, Felsenwänden,/An Tier und Vögeln fehlt es nicht./ So schreitet in dem engen Bretterhaus/ Den ganzen Kreis der Schöpfung aus/ Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle/ Vom Himmel durch die Welt zur Hölle." Was dazu führt, dass man diese Inszenierung geradezu über ihr Bühnenbild definieren muss.
Voller Fantasie, manchmal sparsam, dann wieder überbordend an optischen Reizen, geht es immer dem Text entlang in die Höhe und die Tiefe des Bühnenraums, wo den "ganzen Kreis der Schöpfung" das Konstrukt einer (Halb-)Weltkugel symbolisiert. Höhenangst dürfen die Schauspieler nicht haben. Schließlich: Goethe lotet im Faust ja auch die Untiefen und die Höhenflüge aus.
Leider bleibt in der Personenführung dann doch manches im Ungefähren, die viel zitierte Dualität Faust/Mephisto damit wackelig. So sehr Oliver Firit mit unbändiger Lust am Spiel in allen, auch den attraktiven Facetten des Bösen, seinen Mephisto ausreizt, so wenig kann man das von Stefan Eichbergs Faust sagen. Eichberg gehört eigentlich zu den tragenden Säulen des Ensembles, hier aber bleibt er eindimensional, auch von der Regie vernachlässigt. Grau, traurig, verzagt, am Ende. Nicht einmal die Liebeslust mag man ihm so richtig abnehmen, kein "Steppenwolf", sondern ein alter Hamlet, "von des Gedankens Blässe angekränkelt", der die Möglichkeiten des Menschlichen nur als Zweifel darstellt. Und der Streichung des "Osterspazierganges" fehlt zum Grau auch die Kontrastfarbe neu erwachter Lebenslaune.
Romy Klötzel ist ein berührend unschuldiges Gretchen wie aus dem Bilderbuch – und bleibt es bis zum Schluss. Kreutzfeldt lässt auf Mephistos finales "sie ist gerichtet" nicht die Engelsstimme "sie ist gerettet" erschallen. Logisch, er hat ja auch auf den Prolog im Himmel, auf Gott und die Erzengel verzichtet.
Dass Kreutzfeldt dann mitten in die Inszenierung Goethes "Prometheus" rezitieren lässt, ist eine schöne Gedankenverbindung, aber auch Hinweis auf die Ratlosigkeit, die dieser "Faust" seit Generationen beschert. So bleibt auch in Heilbronn die Weltenformel der Erlösung nur der wegwischbare Kreidestrich auf den am Anfang auf der Bühne stehenden Tafeln voller Mathematik.
Info: Nächste Aufführungen am 8., 11., 13. und 20. Dezember sowie im Januar. Kartentelefon 07131/563001 oder 530 50 und kasse@theater-hn.de