Dirigent Werner Ehrhardt leitete Chor und Ensemble "L’arte del mondo" bei der Salieri-Oper "La Fiera di Venezia" im Rokokotheater. Foto: Dirk Peuser/ Schwetzinger SWR Festspiele
Von Matthias Roth
Schwetzingen. "Eine dumme welsche Kinderey" sei diese Oper, schrieb Papa Leopold Mozart an seine Tochter, doch sein Filius Wolfgang Amadeus war offenbar anderer Meinung. Schon der 17-Jährige hatte sie kennengelernt und schrieb ein Jahr nach der Uraufführung Klaviervariationen über ein darin vorkommendes Duett. Mozart kannte diese "Kinderey" offenbar ganz gut, die der große Antonio Salieri, sechs Jahre älter als er und als Gassmann-Schüler in Wien bereits mit seiner mehreren (komischen) Opern hervorgetreten, 1772 präsentierte: "La Fiera di Venezia". Das Stück war ein Hit und wurde noch im selben Jahr auch in Mannheim gespielt, aber auch in Köln oder Kopenhagen, Warschau oder Moskau.
Jetzt hat man Gelegenheit, das damals oft gespielte, dann in Vergessenheit geratene Werk im Schwetzinger Rokokotheater kennenzulernen, in einer "Halbszenischen Einrichtung" von Deda Cristina Colonna, die vor allem eines tut: den musikalischen Ablauf unter der Leitung von Werner Ehrhardt nicht stören. Und dieser hat es - vor allem im zweiten und dritten Akt - in sich. Denn hier zeigt sich Salieri, bei der Uraufführung seiner siebten Oper 21 Jahre alt, nicht nur als gewiefter Routinier, der gern darbietet, was er musikalisch alles drauf hat, sondern auch als musikalischer Wegbereiter für den jüngeren Kollegen. Und dieser schrieb offenbar fleißig mit, denn man hört hier nicht nur französische und deutsche, Seria- und Buffo-Arien im munteren Wechsel, sondern man sieht auch ganze spätere Mozart-Szenen wetterleuchten: Die Leporello-Arie aus "Don Giovanni" wenn Belfusto erklärt, aus wie vielen Ländern die Waren für den Venezianischen Markt kommen, oder die chaotische Nachtszene im "Figaro", wenn die maskierten Paare sich verwechseln und es schallende Ohrfeigen gibt. Kann das sein?, fragt man sich und staunt nicht schlecht.
Freilich: Die Geschichte, um die es in "La Fiera di Venezia" geht, hat wenig Hintersinn. Das Libretto von Boccherini-Bruder Giovanni Gastone ist ein Schwank ohne Tiefgang und arbeitet vornehmlich mit Klischees. Das ist der eine, wesentliche Unterschied zu den späteren Da-Ponte/Mozart-Opern, den der Papa auch treffsicher erkannt hat. Die Figuren bleiben schablonenhaft, bis hin zur intriganten Karriere-Zicke, die sich einen reichen Mann angeln will und der dazu jedes Mittel recht ist: Salieris Musik adelt sie nicht, sondern nutzt nur die komischen Effekte für sich. Und das ist der größere Unterschied zu Mozarts Werken, deren Musik immer auch eine emotional bewegende Note übrig hat für eigentlich unsympathische Charaktere. Bei Salieri lacht man durchaus herzlich, und es bleibt einem nicht - wie bei Mozart fast immer - im Halse stecken.
Möglicherweise hätte hier ein wirkliches Spezialensemble aber auch für die Affekte der Musik etwas mehr bewirken können als das Ensemble "L’arte del mondo", dem Orchestra in residence bei Bayer Kultur Leverkusen. Solide Musizierlust reicht eben gerade bei unbekannten Werken selten aus, die entscheidenden Details auf Anhieb funkeln zu lassen. Dirigent Werner Ehrhardt hatte außerdem häufig Mühe, die in Zusammenarbeit mit der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Forschungsstelle Südwestdeutsche Hofmusik, neu edierte Partitur zwischen Bühne und Graben gut zusammenzuhalten.
Sängerisch ist diese Produktion durchweg gut besetzt: Als herausragende Protagonistin war Francesca Lombardi Mazzulli eine quirlige und koloraturensichere Falserina. Dilyara Idrisva gab eine bezaubernde Calloandra und Natalia Rubis eine ebenso beeindruckende Cristallina. Als Herren waren Krystian Adam als Herzog Ostrogoto, Emmanuele D’Aguanno als Kneipenwirt Rasojo, Giorgio Caoduro als Belfusto und Furio Zanasi als Grifagno beteiligt. Sie alle gingen sängerisch perfekt in ihren Rollen auf und wussten sie mit allerlei Komödiantentum zu würzen.
Info: Schwetzinger SWR-Festspiele im Rokokotheater, letzte Aufführung heute, 22. Mai, 19 Uhr. Sendung im Programm SWR2 am 27. Mai, 20 Uhr.