Maria 2.0 steht für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der katholischen Kirche. Foto: dpa
Von Christoph Driessen
Berlin. Heiligabend ist auch der große Tag von Maria. Im Stall kniet sie neben Josef an der Futterkrippe mit dem Jesuskind, meist mit fromm gefalteten Händen. Die "Heilige Jungfrau" oder "Gottesmutter" bildet in der katholischen Kirche den Mittelpunkt eines oft ultrakonservativen Marienkults, man verbindet sie mit dem Rosenkranz oder dem Wallfahrtsort Lourdes. Doch in jüngster Zeit kommt ein ganz neues Marienbild auf.
"Maria 2.0" nennen sich die Frauen, die in Deutschland für Geschlechtergerechtigkeit in der katholischen Kirche eintreten und den Zugang zum Priesteramt fordern. In Österreich haben die Initiatorinnen eines Frauen-Volksbegehrens mit speziellen T-Shirts großen Erfolg: Darauf ist eine klassische Madonnen-Darstellung mit dem Spruch "The future is female" (Die Zukunft ist weiblich) auf der Brust abgebildet. "Das T-Shirt ist überkonfessionell ein Renner", berichtet die Theologin Judith Klaiber von der Universität Wien.
Jahrhundertelang ist Maria immer nur von Männern beschrieben worden, doch halten feministische Theologinnen mit neuen Interpretationen dagegen. "Wenn wir die ganzen Kitsch-Schichten mal abkratzen, was bleibt dann übrig?", fragt Klaiber. "Eine junge Frau, die sehr früh schwanger wird. Nach allem, was wir heute wissen, war sie nicht älter als 15, 16 Jahre. Eine Frau auch, deren Kind ziemlich viel Scherereien macht. Und die dann noch miterleben muss, wie dieses Kind als junger Erwachsener bestialisch ermordet wird. Ich glaube, darin können sich viele Menschen mit ähnlich schweren Schicksalen wiedererkennen."
Maria 2.0 steht für mehr Geschlechtergerechtigkeit in der katholischen Kirche. Foto: dpaDie Rolle als Mutter wird zwar auch von den feministischen Theologinnen nicht wegdiskutiert, doch ist Maria bei ihnen nicht mehr das willenlose Werkzeug Gottes. Stattdessen wird herausgestellt, dass sie sich aus freien Stücken dazu bereitfindet, die Mutter von Jesus zu werden. "Gott ist auf das Ja einer jungen Frau angewiesen, dieses Ja ist notwendig", betont Klaiber.
Die traditionelle Sicht von Maria als Jungfrau betrachten die feministischen Theologinnen als Hinweis auf ihre Unabhängigkeit. Auch eine Erzählung aus dem Lukasevangelium bekommt einen neuen Dreh: Zu Beginn ihrer Schwangerschaft besucht Maria ihre Cousine Elisabeth und stimmt dort das Loblied "Magnificat" an – unter anderem mit der Zeile: "Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen." Die Wissenschaftlerinnen sehen Maria auf dieser Grundlage als Vertreterin der Machtlosen.
Dazu kommt, dass die Evangelien eben nicht nur über Maria als Mutter erzählen. Sie bleibt auch präsent, als Jesus erwachsen ist. Im Johannes-Evangelium nimmt sie als Gast an der Hochzeit zu Kana teil und wird dort von Jesus nicht als "Mutter", sondern als "Frau" angeredet – den Expertinnen zufolge ein Hinweis auf ihre Bedeutung in der entstehenden Kirche. Sie ist Zeugin der Kreuzigung von Jesus, während sich die meisten seiner männlichen Gefolgsleute längst aus dem Staub gemacht haben. "Maria ist diejenige, die eben nicht davonläuft", sagt Klaiber. "Der Verlust des eigenen Kindes ist ja eine ganz existenzielle Erfahrung. Maria bleibt da, hält das Geschehen aus und durch."
Anschließend gehört sie zur ersten Gemeinde, die nach dem Tod von Jesus entsteht. "Das gilt sogar als historisch gesichert", sagt Elzbieta Adamiak, Professorin für Fundamentaltheologie an der Uni Koblenz-Landau. "Sie ist also keineswegs nur die Mutter, die ihn zur Welt bringt und dann zuhause bleibt."
Die Wissenschaftlerin findet es absolut richtig, dass Maria in der "Maria 2.0"-Bewegung wieder zur Identifikationsfigur für Frauen geworden ist, die eben nicht schweigen möchten und ihre Stimmen gegen Unrecht erheben: "Denn auch Maria war ja eine Frau, die den Mund aufgemacht und sich aktiv für ihren eigenen Weg entschieden hat", sagt Adamiak.
Vielleicht wird es Zeit, sie als Krippenfigur mal in einer neuen Pose zu zeigen – was nicht neu wäre: In früheren Jahrhunderten wurde Maria auf Bildern mitunter auch in einem Buch lesend dargestellt. Eine brasilianische Krippenszene findet Judith Klaiber besonders schön: "Da schläft Maria in der Krippe, erholt sich also im Wochenbett, und Josef kümmert sich liebevoll um den gähnenden Jesus. Solche Bilder werden jetzt wieder entdeckt und finden großen Anklang, weil Menschen spüren, dass diese Darstellungen zeitgemäß sind. Eine spannende Entwicklung."