Oskar Schlemmer: Fresko mit Säulen, 1928. Aquarell, Tusche. Foto: Milan Chlumsky
Von Milan Chlumsky
Mannheim. Es war ein Aderlass: 500 graphische Blätter wurden während der beiden großen Beschlagnahmungsaktionen im Jahr 1937 aus der Sammlung der Kunsthalle durch die Nationalsozialisten entfernt (darüber hinaus auch 100 Gemälde). Ihre Propagandamaschinerie hatte für diese Kunst den Titel "entartet" gefunden. Diese Brandmarkung bedeutete nicht nur einen Freibrief für den willkürlichen Umgang mit Kunstwerken, sondern auch mit ihren Urhebern und führte oft zu deren Vernichtung.
So konnten bis jetzt nur etwa 50 Blätter aus der Mannheimer Kunsthalle in anderen Museen der Welt nachgewiesen werden; die übrigen landeten entweder in Privatbesitz oder sind endgültig verschollen. Die Kunsthalle präsentiert jetzt den zweiten Teil der Ergebnisse ihrer Provenienzforschung. Nach der Malerei stehen nun die Ereignisse um die Graphische Sammlung im Vordergrund. 34 einst beschlagnahmte Arbeiten wurden wieder ausgeliehen (darunter Willy Baumeister und Willy Jaeckel mit fünf Arbeiten, Karl Schmidt-Rottluff, Ernst Ludwig Kirchner Emil Nolde und Franz Marc mit je zwei Werken, sowie Lovis Corinth, Carl Grossberg, Alexej von Jawlensky, Max Kaus, Oskar Schlemmer und Laszló Moholy-Nagy, um die wichtigsten zu nennen) und in die Ausstellung integriert. Man kommt nicht umhin, die Qualität dieser Sammlung zu bewundern, die vor der Machtergreifung der Nazis zu den Juwelen der graphischen Landschaft in Deutschland zählte. Neben den Werken der Impressionisten waren es vor allem die Expressionisten und die Künstler der Neuen Sachlichkeit, die in der deutschen Museumslandschaft einzigartig waren. Wie kam es dazu?
Der erste Direktor der 1907 gegründeten Kunsthalle war Fritz Wichert, der von 1909 bis 1923 im Amt war. Schon 1910 hatte er mit dem Ankauf graphischer Blätter begonnen. Die graphische Sammlung sollte Bestandteil eines kunstwissenschaftlichen Instituts werden, das vor allem eine kunstpädagogische Rolle spielen sollte. Dazu sollte auch eine Kunstbibliothek und eine Sammlung der Reprographik aufgebaut werden. Damit würde das graphische Kabinett einem breiten Publikum den Zugang zur Kunst ermöglichen. Zum Leiter des kunstwissenschaftlichen Instituts und des graphischen Kabinetts wurde der junge Kunsthistoriker Willy Storck ernannt, der bis 1920 an der Kunsthalle blieb.
Bei der feierlichen Präsentation von etwa 400 Arbeiten im März 1911 konnte Wichert eine bemerkenswerte Anzahl junger und auch arrivierter Künstler vorstellen: Adolph Menzel, Max Klinger, Käthe Kollwitz, Lovis Corinth und Max Liebermann hingen neben Delacroix, Corot, Manet, Renoir, Sisley, van Gogh, Gauguin, Toulouse-Lautrec und anderen. Angesichts dieser Fülle nahmen sich die Werke deutscher Künstler der damaligen Zeit eher bescheiden aus: Max Pechstein (immerhin mit 19 Blättern vertreten), Karl Hofer (4), Emil Nolde (3), Karl Schmidt-Rottluff (2) und Erich Heckel und Otto Mueller jeweils mit einem Blatt.
1913 sah sich Wichert gezwungen, die Aufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen. Er berief Gustav Friedrich Hartlaub als Assistenten. Hatte Wichert Hartlaubs Aufsatz "Das Ende des Impressionismus" gelesen, der 1912 erschien und sich eigentlich gegen die Einkaufspolitik seines neuen Chefs stellte? Hartlaub konnte in dieser Zeit mit der expressionistischen deutschen Kunst wenig anfangen.
1914 bis 1919 wurde Wichert als Kulturattaché des Deutschen Reiches nach Den Haag und Berlin berufen. Hartlaub begann sich stärker für die neuen Strömungen zu interessieren, seine Einstellung gegenüber den Künstlern der neuen Avantgarde änderte sich. Wichert hätte gern die Sammlung der Kunsthalle um mehr französische und deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts bereichert, Hartlaub wollte eine moderne Kunsthalle. Die Konflikte waren vorprogrammiert. 1923 ging Wichert ans Frankfurter Städel und Hartlaub konnte ungehindert seine Ankaufspolitik fortsetzen, die 1925 in der Ausstellung der Neuen Sachlichkeit gipfelte. Willy Storck verließ 1920 Mannheim und wurde Direktor der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe. Damit konnte Hartlaub allein entscheiden, bis ihn 1933 die Nazis aus dem Amt jagten.
Die graphische Sammlung umfasst heute 34.000 Arbeiten auf Papier sowie etwa 800 Objekte angewandter Kunst. Es sind die 11.000 Zeichnungen, Aquarelle und Druckgraphiken aus der Zeit vor 1800 bis heute, die den Reichtum der Kunsthalle ausmachen. Dank des Provenienzforschers Mathias Listl und des Engagements des Leiters der Graphischen Sammlung Thomas Köllhofer konnten viele komplizierte Schicksale der graphischen Blätter geklärt werden. Eine spannende Ausstellung!
Info: "Beschlagnahmt! Rückkehr der Meisterblätter", Mannheimer Kunsthalle, bis 23.6.