Der „Codex Manesse“ aus der Heidelberger Universitätsbibliothek wurde unter Polizeischutz nach Mainz transportiert. Der Versicherungswert soll bei mehr als 80 Millionen Euro liegen. Entstanden ist die prächtig illustrierte Pergamenthandschrift mit mittelalterlicher Lyrik vermutlich um das Jahr 1300 in Zürich. Das Original wird nur für sechs Wochen in Mainz gezeigt. Foto: Ronald Wittek
Von Volker Oesterreich
Mainz. "Geschichte lebendig machen", das hat sich die Generaldirektion Kulturelles Erbe des Landes Rheinland-Pfalz mit ihrer großen kulturgeschichtlichen Ausstellung "Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht – Von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa" im Landesmuseum Mainz vorgenommen.
Auf rund 1200 Quadratmetern werden 300 erstklassige Exponate gezeigt, darunter die mit rund 80 Millionen Euro versicherte Große Heidelberger Liederhandschrift" (Codex Manesse), das Armreliquiar Karls des Großen aus dem Louvre, der schon bei der Mannheimer Staufer-Ausstellung präsentierte Cappenberger Barbarossa-Kopf oder die Mainzer Goldene Bulle von 1356, mit der die Wahl des Königs und Kaisers durch die sieben Kurfürsten geregelt wurde. Dieses ursprünglich mit einem goldenen Siegel versehene Verfassungsdokument bestimmte die politische Ordnung bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches im Jahr 1806. Das Mainzer Exemplar gelangte im Zuge der Koalitionskriege nach der Französischen Revolution nach Wien. Bei ihm fehlt allerdings das goldene Siegel, dennoch ist das auf den ersten Blick unscheinbare Schriftstück äußerst bedeutsam. Nun ist es für die Ausstellung erstmals seit 225 Jahren nach Mainz zurückgekehrt.
Auch eine Kopie der Reichskrone wird in Mainz gezeigt. Foto: Ursula RudischerNicht alle Exponate können bis zum Ende der Schau am 18. April im Landesmuseum gezeigt werden – aus konservatorischen Gründen. Der Codex Manesse beispielsweise bleibt nur während der ersten sechs Wochen in Mainz, "danach kehrt er in den Klimatresor der Heidelberger Universitätsbibliothek zurück", erklärte UB-Direktor Veit Probst. Danach müssten sich die Besucher mit einem Faksimile der um 1300 in Zürich entstandenen Sammlung mittelhochdeutscher Dichtung begnügen.
Weitere Highlights der Ausstellung sind der Goslarer Kaiserthron, die Große Mainzer Adlerfibel, die zwischen 975 und 1025 entstand, und das Adelheidkreuz König Rudolfs von Rheinfelden vom Ende des 11. Jahrhunderts; neben seiner religiös-lithurgischen Bedeutung als Kreuzsplitter-Reliquiar war das imposante Stück mit seinen 24 antiken Gemmen, 3 Skarabäen und 147 Edelsteinen auch ein Objekt der politischen Machtdemonstration.
Wie schon bei vielen früheren kulturgeschichtlichen Ausstellungen wurde der Heidelberger Historiker Bernd Schneidmüller als wissenschaftlicher Leiter mit ins Boot geholt. Er hatte die Schau zusammen mit seinem vor zwei Jahren gestorbenen Kollegen Stefan Weinfurter vorbereitet. Schneidmüller deutet den Raum am Rhein zwischen Aachen und Basel, Metz und Gelenhausen als "Herzstück des Reiches", das seine große Innovationskraft bis heute behalten habe. Ähnlich sah das schon der mittelalterliche Chronist Otto von Freising.
Nach Schneidmüllers Worten lebten die Herrscher der Karolinger, Ottonen, Salier und Staufer stets in dem Zwiespalt, "einerseits Furcht verbreiten zu müssen, andererseits Liebe auf sich zu ziehen". Damit das gelang, war eine ausgeklügelte Netzwerkarbeit nötig. Die Kaiser, Kaiserinnen und Könige bezogen die geistlichen und weltlichen Fürsten, die Feldherren, Ritter, Ministerialen und die zunehmend an Einfluss gewinnenden Bürger und Städte in ihre Lobbyarbeit ein. In zeitlicher Abfolge bildeten mal die einen, mal die andren die Säulen der Macht und folgten wie bei "Game of Thrones" jeweils eigenen Strategien.
Allerdings gehörten nur zehn Prozent der Bevölkerung zu diesen Stützen der Macht, die Rolle der übrigen 90 Prozent mit Bauern und Tagelöhnern wird dennoch schlaglichtartig verdeutlicht.
Eine entscheidende Rolle für die damalige Gesellschaft spielten auch die jüdischen Gemeinden der sogenannten Schum-Städte Speyer, Worms und Mainz, die in einer gemeinsamen Initiative die Anerkennung als Unesco-Weltkulturerbe beantragt haben.
Vorrangig geht es in der Ausstellung um die Machtstrukturen ganz allgemein, weniger um die Biografien der Herrscher. Dennoch erfährt man in Mainz auch von den fünf Ehefrauen, zwei Scheidungen und mindestens vier Geliebten Karls des Großen.
Info: Landesmuseum Mainz, bis 18. April 2021. Der prachtvoll illustrierte Katalog kostet im Museum 29 Euro. Karten können online oder vor Ort für bestimmte Zeitfenster gekauft werden. www.kaiser2020.de