Mike Love (M.) gemeinsam mit Bruce Johnson beim Tänzeln. Die Fans machen begeistert mit und lassen sich auch beim Handy-Leuchten nicht lange bitten. Foto: Welzel
Von Klaus Welzel
Stuttgart. Okay. Kopf ausschalten. Rein in die Liederhalle. Tanzen. Auf der Leinwand hübsche Pin-up-Girls. Autos. Tolle Kerle. Surfbretter. Aber die stehen auch links und rechts am Bühnenrand. Dazu Palmen. Wellen. Meer. Und vorne zwei ältere Herren. Der eine davon ist Mike Love, Mitgründer der Beach Boys im Jahr 1961. Mit seinen 78 wirkt er zwar hüftsteif. Aber je länger der Abend – und er wird sehr lang – desto unbeschwerter die Stimmung.
Bei den Beach Boys geht es um die schönen Seiten des Lebens. Unter ihrem damaligen Chef Brian Wilson haben sie zwar in den 70ern auch ein musikalisch tiefgründiges Album namens "Pet Sounds" eingespielt. Aber das war dann auch schon der Beginn des Zerwürfnisses in dieser Familien-Band. Mike Love ist nämlich der Cousin von Brian Wilson. Und anders als dieser lehnte Love sämtliche Drogen ab und setzt auf Meditation. Wilson und seine Brüder Carl und Dennis (ebenfalls Gründungsmitglieder) ließen es lieber so lange krachen, bis heute nur noch Brian übrig ist – aber wie!
Das ist die traurige Kurzgeschichte der fröhlichsten Band, die Amerika je hervorgebracht hat. In Stuttgart ist aber kein Platz für Trauer. Die rund 2300 Fans verlassen ganz schnell ihre 80-Euro-Sitze, wobei man sagen muss: erstaunlich gemischt die Truppe. Kann es sein, dass ein Computerspiel Musik der Beach Boys verwendet? Den vielen Grauhaarigen stand nämlich eine ebenfalls sehr große Gruppe unter 20-Jähriger gegenüber.
Die beiden älteren Beach Boys – neben Love ist das Bruce Johnson am Piano) haben allerdings auch sieben Jungspunde mitgebracht, die teilweise beachtliche Soli hinlegen. Doch über weite Strecken klingt die Combo eher nach einer mittelmäßigen Beach-Boys-Coverband. Der Gesang (alle neune müssen ran) kommt an einigen Stellen so holprig daher, dass eine wunderschöne A-cappella-Version hier so gar nicht reinpassen möchte. Aber man will ja nicht an schlechten Gedanken hängen ... "Surfin’ U.S.A.". "It’s OK".
Das letzte Drittel des Abends (die Herren gönnen sich eine Pause) gerät dann deutlich härter. Mehr Rock ’n’ Roll, weniger Surfsound. Sogar die "Ramones" steuern einen Song bei. Wenn "Barbara Ann" ertönt, gibt es kein Halten mehr. Es folgen "Good Vibrations". Und so verlässt man den nüchternen Betonbau nach drei Stunden mit einem beschwingten, heiteren Gefühl. Und man hat wieder einmal etwas dazu gelernt:
1. Ein Trump-Fan wie Mike Love kann trotzdem gute Stimmung machen. Politik war ohnehin nie sein Thema.
2. Brian Wilson fehlt natürlich. Theoretisch gehört er noch zur Band, reist aber nicht mit und versucht sich stattdessen in Solo-Projekten. Nach drei Kreuz-OPs sagte er seine aktuelle Tour aber ab. Womöglich macht er aber seine Sache professioneller.
3. Drogen verkürzen nicht nur das Leben, sondern stürzen einen wie Wilson offensichtlich auch noch in eine psychische Dauerkrise (sein Psychotherapeut kassierte nicht nur Hunderttausende pro Jahr, sondern wollte ihn noch entmündigen lassen).
4. Meditation ist auch keine Lösung. Aber Mike Love – siehe oben – ein netter Kerl, dem man alle Patzer verzeiht.