Musikalisch starke Politshow: Das Volkstheater Wien gastierte mit "Verteidigung der Demokratie" von Christine Eder und Eva Jantschitsch im Marguerre-Saal beim Stückemarkt (v.l.: Nils Hohenhövel, Katharina Klar, Christoph Rothenbuchner). Foto: Lupi Spuma
Von Elisabeth Maier
Heidelberg. Spielformen des politischen Theaters loteten die Gastspiele nun beim Heidelberger Stückemarkt aus. Mit Christine Eders musikalisch starker Politshow "Verteidigung der Demokratie" wagte das Ensemble des Volkstheaters Wien einen berauschenden, wenngleich manch-mal oberflächlichen Höllenritt durch die Weltgeschichte und die Entwicklung der Demokratie. Für den Nachspielpreis nominiert ist Thomas Köcks "paradies spielen. (abendland. ein abgesang)", das Moritz Peters am Hans Otto Theater Potsdam als bemerkenswertes Sprachkunstwerk in Szene gesetzt hat.
Triebfeder der Uraufführung "Verteidigung der Demokratie" ist Eva Jantschitschs energiegeladene elektronische Musik. Weil die Künstlerin erkrankt ist und nicht singen darf, kam ihre Stimme im Marguerre-Saal vom Band. Trotzdem ging die Kraft der Songs da nicht verloren. Den hämmernden Sound trieb die Band auf die Spitze. Mit Liedern erschafft die Texterin und Komponistin Jantschitsch ein Sounduniversum, das Horizonte öffnet. Ausgehend vom Leben des jüdischen Rechtswissenschaftlers Hans Kelsen, der von den Nationalsozialisten vertrieben wurde und jahrzehntelang in Europa und den Vereinigten Staaten auf der Flucht war, zeigt das Ensemble, was die Geschichte mit Menschen macht. Er war einer der Väter der österreichischen Verfassung, deren Grund-lagen 1918 geschaffen wurden.
Was ist in 100 Jahren aus diesen Werten geworden? Diesen Diskurs rollt die rasante Show auf, allerdings nicht konsequent genug. Gepackte Kisten stapeln sich auf Monika Rovans Bühne. Die zertrümmern die Akteure am Ende. Damals wie heute müssen Menschen fliehen. In Krisenzeiten wie diesen hat es die Demokratie schwer. Christine Eder rockt in ihrer Uraufführung die Geschichte. Dokumente steuern die Videokünstler Philipp Haupt und Jennifer Kunis bei.
Mit Medienbildern, die um die Welt gingen, wecken sie Assoziationen. Historische Fragen denkt das Regieteam an, doch gelingt es lediglich bedingt, diese auch auf die Gegenwart zu übertragen. Die Trägheit des dokumentarischen Materials überwindet das Ensemble jedoch mit einer Performance, die zutiefst berührt. Berichte über Folterungen von Gegnern des mit US-amerikanischer Hilfe geplanten Militärputschs von General Augusto Pinochet im Stadion von Santiago de Chile sprechen die Spieler erst sehr emotional, dann quälend langsam. Zu welchen Verbrechen Menschen fähig sind, zeigen die Performer mit aller Schärfe und Konsequenz.
"Ein ausgebrannter Chor im ewigen ICE der Spätmoderne" zelebriert Thomas Köcks Sprachkunst in der Inszenierung von Moritz Peters am Hans Otto Theater Potsdam. 2017 wurde das Stück "paradies spielen" über Klimakatastrophe und Globalisierung am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt. Es ist der dritte Teil von Köcks Klimatrilogie. In seinen großen Sprachbildern spiegelt der Autor die Ängste nicht nur der jungen Generation angesichts der Zerstörung des Ökosystems. Er denkt global, nimmt in der rhythmischen Textfläche auch die Weltwirtschaft in den Blick. Mit dem Nachspielpreis, den die Journalistin Mou-nia Meiborg kuratiert, setzt das Theater Heidelberg ein starkes Zeichen für die Entwicklung der neuen Dramatik. Da ist der Blick unterschiedlicher Regieteams auf die Stücke unabdingbar.
Das Wortspiel mit dem Hochgeschwindigkeitszug der Deutschen Bahn ICE und dem englischen Wort für "Eis" versteht der Regisseur wörtlich. Quälend langsam verfolgt die Videokamera, wie ein Miniaturmodell des Zuges zerstört wird. Aus einer Plastiktüte wird Schnee gestreut. Nehle Balkhausens Bühne fragmentiert die Wirklichkeit, die der österreichische Dramatiker klug analysiert. Marc Eisenschinks Sounddesign verstärkt die Endzeit-Atmosphäre, reißt die Akteure aber auch in den Rhythmus der Sprache hinein. Entwurzelt steht Jonas Götzinger als "Ich" im Raum, der an ein zerstörtes Bahngleis erinnert.
Mit schweren Verbrennungen ist der junge Mann ein Opfer der Zivilisation, die keine Rücksicht auf die Umwelt nimmt. Arne Lenk als singender Kondukteur erfasst den Rhythmus von Köcks Textfläche ebenso wie das brillant agierende und sprechende Ensemble. Der Chor hakt nach, bohrt, horcht in die dunklen Visionen von einer zerfallenden Welt hinein. Dem zum Trotz aber ist Köck kein Pessimist. Aus seinen Texten spricht tiefste Überzeugung, dass es Menschen sind, die die Notbremse ziehen können. Und das in jedem Augenblick.