Heidelberger Inszenierung "Josef und Maria"

Besinnliche Weihnachten? Leider gerade nicht lieferbar!

Von der Welt des Konsums, der Einsamkeit und den Paketboten - Gedanken zum Stück in der Unterführung

23.12.2018 UPDATE: 24.12.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 48 Sekunden

Kurz vor Beginn der Vorstellung: Regisseur Fabian Appelshäuser und Schauspielerin Christina Rubruck auf dem Heidelberger Weihnachtsmarkt. Die Inszenierung "Josef und Maria" bietet für sie den Anlass, über die Weihnachtszeit zu reflektieren. Foto: Joe

Von Julia Bopp

Heidelberg. Dauerbeschallte Karussells, überteuerter Kitsch und volle Warenhäuser, in denen das archaische Recht des Stärken oder Schnelleren herrscht. Besinnliche Weihnacht? Leider gerade nicht lieferbar! Überall brennen Adventskerzen, doch die einzige Ankunft, die wirklich erwartet wird, ist die des Paketboten. Gereizt kämpfen sich die Leute durch die Fußgängerzone, während sie das Fest der Liebe vorbereiten.

Diesen heftigen Widerspruch lässt der Regisseur Fabian Appelshäuser die Zuschauer von Peter Turrinis Zweipersonen-Stücks "Josef und Maria" ganz deutlich spüren. Er gewährt den Besuchern Einblick in die Unterwelt des vor Waren nur so strotzenden Kaufhofs am Bismarckplatz. Dort unten - genauer gesagt in einer ehemaligen Unterführung, die vom Kaufhaus aus zugänglich ist - treffen an Heiligabend zwei einsame Seelen während ihrer Schicht aufeinander: der Nachtwächter Josef (gespielt von Olaf Weißenberg) und die Reinigungskraft Maria (gespielt von Christina Rubruck). Sie feiern kurzerhand ihr eigenes, ehrliches Weihnachtsfest. Ja, wie sieht das eigentlich genau aus, so ein ehrliches Weihnachtsfest?

Christina Rubruck und Fabian Appelshäuser ermöglichen den Blick hinter die Kulissen. Dort drängt sich eine ganz simple Frage auf: Wie ist es möglich, dass Maria und Josef in dem Stück an einem ganz und gar unweihnachtlichen Ort, fernab von vertrauter Gesellschaft und einem warmen Wohnzimmer, in dem sich die Geschenke stapeln, letztlich doch den schönsten und ehrlichsten Heiligabend verbringen?In der zum Lager umfunktionierten kalten und verlassenen Unterführung, wo die beiden sich begegnen, hat all das Platz, was sonst zugunsten der Weihnachtsharmonie unausgesprochen bleiben muss: "Die Unterführung ist ein freier Ort. Da kann endlich einmal rausgebrüllt werden, was man eigentlich die ganze Zeit fühlt", sagt Christina Rubruck.

Ein Bild, das sich an Weihnachten eher selten bietet, wie die Schauspielerin aus eigener Erfahrung weiß: "Von meiner Mutter wurden wir immer gebrieft, welche Themen wir aussparen müssen". Fabian Appelshäuser spricht sogar vom "Druckverstärker Weihnachten". Doch wie kommt dieser Druck zustande?

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Die Gesellschaft werde permanent mit Bildern konfrontiert, die zeigten, wie das perfekte Weihnachtsfest auszusehen habe, erklärt er: "Es ist die reinste Familien-Harmonie, die einem von den Hochglanzmagazinen aus entgegenlacht." Damit sei jedoch nicht gesagt, dass ein Fest im Kreise der Familie nicht auch wirklich schön sein könne, gibt Appelshäuser zu bedenken.

Es gehe eher darum, dass jeder für sich selbst entscheiden solle, wie er Weihnachten verbringen möchte und dass all die unterschiedlichen Formen gleichberechtigt akzeptiert werden: "Wenn jemand Weihnachten lieber allein verbringen möchte, sollte man das akzeptieren und ihm nicht gleich Einsamkeit unterstellen." Christina Rubruck ist berufsbedingt während der Feiertage häufig unterwegs: "Ich habe wegen meiner Engagements viele Weihnachten in Hotels verbracht, aber das macht mir nichts aus." Kritischer als das Alleinsein an Weihnachten sei wohl eher das erzwungene Beisammensein zu beurteilen: "Wenn jemand keine Lust auf Familienfeiern hat, sollte man ihn auch nicht zwingen zu kommen! Da generiert man zwei Mal keinen Spaß!", ergänzt Appelshäuser.

Tatsächlich hätte Maria in dem Stück ein solches Weihnachtsfest geblüht, wenn sie nicht vorher schon vorsorglich von ihrem Sohn ausgeladen worden wäre. Dieser wollte nämlich der weihnachtlichen Harmonie wegen einen Streit zwischen seiner Ehefrau und der fürsorglichen Mutter Maria vermeiden. Auch Christina Rubruck sieht in dem "Diktat von Nähe", das ein Weihnachtsfest mit sich bringen könne, den Auslöser für Familienkrach an Heiligabend. Zu viel Ehrlichkeit könne auch negative Konsequenzen haben, zum Beispiel dass die Anwesenden einen Moment lang das "Gänsebratengesicht" (Appelshäuser) fallen lassen und dann von der stillen Heiligen Nacht nicht mehr viel übrig bleibt.

Ist Weihnachten also hauptsächlich von Konsum und Streit bzw. falscher Harmonie geprägt? Nein, es kommt einfach darauf an, welche Haltung man dem Fest und den Bräuchen gegenüber einnimmt: "Ich bin überzeugt davon, dass nicht alle blindwütig konsumieren", so Rubruck. Letztlich hat Weihnachten für sie auch "etwas Magisches, weil es an die Kindheit erinnert". In ihrer Kindheit wurde übrigens noch die Weihnachtsgeschichte vorgelesen. Heute scheint der eigentliche Grund, weshalb wir Weihnachten feiern, immer mehr in den Hintergrund zu geraten.

Wenn wir also an Heiligabend müde von dem guten, ausgiebigen Essen zwischen all den Bergen aus Geschenkpapier sitzen und zum x-ten Mal die 16-jährige Romy Schneider als Sissi in den Armen von Franz bewundern, drängt sich vielleicht doch die Frage auf: Wie war es möglich, dass Maria und Josef an einem ganz und gar unweihnachtlichen Ort, fernab von vertrauer Gesellschaft und einem warmen Wohnzimmer, in dem sich schon die Geschenke stapeln, letztlich den schönsten und ehrlichsten Heiligabend verbrachten?

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