Erneutes Kammermusik-Highlight: Geiger Renaud Capuçon und der Pianist David Fray. Foto: Studio Visuell
Von Christoph Wagner
Heidelberg. Wer glaubte, mit den Konzerten der Kammermusikakademie und der "Standpunkte" seien die kammermusikalischen Höhepunkte des Heidelberger Frühlings gesetzt, wurde erneut in der Stadthalle eines Besseren belehrt. Zwei französische Musiker gastierten hier, der Geiger Renaud Capuçon (Jahrgang 1976) und der Pianist David Fray (Jahrgang 1981). Beides sind gefragte Solisten. Sie haben mit vielen Spitzenorchestern konzertiert und diverse Preise erhalten.
Im ersten Teil des Programms spielten sie drei der sechs Sonaten von Johann Sebastian Bach für Violine und obligates Klavier (im Original Cembalo). Diese Werke sind musikgeschichtlich deshalb so interessant, weil sie die ersten ihrer Art sind. Vorher hatte das Tasteninstrument bei Solo- oder Triosonaten nur reine Generalbassfunktion. Mit ihnen nahm die große Tradition der Klavierkammermusik der Klassik und Romantik ihren Anfang.
Während die schnellen Sätze durchweg dreistimmig polyfon, meist als Fugen gehalten sind, scheint Bach in den langsamen Sätzen noch zu experimentieren. Zu Beginn der zuerst gespielten f-Moll-Sonate etwa intoniert das Klavier ein Motiv, das sich dann unter leichten Abwandlungen durch verschiedene Tonarten ständig wiederholt. Die Violine setzt erst einige Takte später ein, zuerst nur mit lang gehaltenen Tönen, nähert sich quasi suchend nur langsam dem Klaviermotiv an, ehe in ihm erst gegen Ende beide Instrumente zusammenfinden.
Die Interpretation konnte man als Nachweis einer sehr kühnen Äußerung des Alt- und Großmeisters des Dirigierens, Sergiu Celibidache, hören: "Der wahrhaft musikalische Interpret braucht keine Vortragsbezeichnung, da diese bei Komponisten von Rang immer zwingend aus dem Notentext folgen."
Obwohl es bei Bach bekanntlich außer den Tempobezeichnungen kaum weitere Angaben zur Ausführung gibt, erlebten wir unter Einbeziehung von Pedal und Vibrato eine Fülle verschiedenster Klangfarben und interpretatorischer Details bei Dynamik und Artikulation. Doch nichts wirkte aufgesetzt, sondern alles erschien selbstverständlich und diente dazu, erlebbar werden zu lassen, wie großartig Bachs Musik ist.
Nach der Pause dann mit Beethovens "Kreutzersonate" ein der Gipfelpunkte der Gattung: Es ist heute kaum mehr vorstellbar, dass ein zeitgenössischer Kritiker über sie schrieb, sie sei "übertrieben unverständlich", der Komponist verfahre "aufs willkürlichste" und wolle "nur immer ganz anders sein als andere Leute": Man müsse bei ihrer Aufführung "auch das Groteskeste genießen können und mögen".
Kann es sein, dass er zu dieser Einschätzung nur kommen konnte, weil er nie das Glück hatte, eine so brillante, formal stringente, und ungemein temperamentvolle Interpretation zu hören wie wir die von Renaud Capuçon und David Fray? Und es außerdem damals noch keinen Flügel gab, auf dem man Beethovens Musik wirklich angemessen darstellen konnte?
Auf jeden Fall erlebten wir an diesem Abend nicht nur vollendete Kammermusik-Kunst, sondern auch ein leidenschaftliches Plädoyer für die Verwendung moderne Instrumente.