Die Stadthalle Heidelberg. Foto: mün
Von Simon Scherer
Heidelberg. Fazil Say ist definitiv ein Unikum unter den Pianisten. Seinen Beethoven oder Chopin macht ihm wahrscheinlich keiner nach. Allein schon, wie er in dessen Drei Nocturnes op. posthum hineinglitt. Wie aus traumversunkenem Trancezustand, getrieben von einer inneren Kraft, schwebte er davon. Bei großzügiger Agogik und butterweichem Anschlag geschieht bei dem "Frühlings"-Stammgast alles wie aus dem Bauchgefühl heraus: spontan und nicht wirklich vorhersehbar. So war auch der Beginn des gigantischen Steigerungsprozesses nicht festzulegen, da er sich ganz aus dem Spiel heraus ergab. Manchmal sprachen die Motive gar mit sich selbst.
Ein Chopin zum Dahinschmelzen, voller Sehnsüchte und Blicke in weite Fernen, wobei die wie aus einer Laune heraus entstehende Musik keineswegs nur melancholisch war. Und ständig befand sich alles in Bewegung, was ebenso für Beethovens 8. Sonate in c-Moll galt. Pathos suchte man in der "Pathétique" vergeblich, dafür ging alles viel zu schnell. Gefesselt hat op. 13 trotzdem. Sei es in aufrüttelnder Massivität, die allerdings schnell ins Introvertierte wechselte, in mitreißendem Aufbruchswillen oder in den schelmischen Motiven im Abseits. Mitten im Gesamtsog arbeitete Say nämlich gern mit Liebe zum Detail.
Beim ersten Eindruck wirkt Says Spiel unglaublich lässig und locker, von Anspannung keine Spur. Dabei überlegt er sich in jedem Moment neue interpretatorische Konzepte. Viele Freiheiten nahm er sich dabei heraus, flickte seine Ideen wie mit einem Augenzwinkern ein, wo auch beim Hörer schnell ein Schmunzeln übers Gesicht huschte.
Die ausverkaufte Stadthalle war nämlich bei jedem Schritt mit dabei: Mit den Ohren und den Augen, da Fazil Say auf vielerlei Art mit der Musik kommuniziert. Zum Beispiel im Vordirigieren, Abwinken oder Herbeiwehen eines Tons. Den Draht zum Publikum garantiert außerdem sein intensiver Blickkontakt.
Noch gesteigert hat sich der mimisch-gestische Einsatz in den ersten zwölf Préludes von Claude Debussy, die Say mit behutsamem Charme und feinsinniger Neugierde anpackte. Extrem in die Länge gezogen hat er deren Aufbau, alles äußerst assoziativ zusammengesetzt. Eine besondere Eigenschaft von ihm: richtige Personen in der Musik abzubilden, etwa einen flirtenden Tänzer.
Fazil Say schuf reale Vorstellungen, die jedoch im nächsten Moment durchbrochen wurden. In versonnenen Traumwelten bewegte er sich wieder in seiner Eigenkomposition "Yürüyen Kösk", in der allerdings auch reichlich Aktivität und Energie freigesetzt wurden. Die Entstehungsgeschichte hierzu lieferte lediglich Anstöße, der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.
Standing Ovations folgten seinen Zugaben: Chopins 2. Nocturne und grandiosen Improvisationen.