Fesche Roben, schmissige Szenen: Juanita Lascarro (Mitte) in der Titelrolle der "Lustgen Witwe" zusammen mit Chorsängern und Mitgliedrn des flott choreografierten Tanzensembles. Foto: Sebastian Bühler
Von Volker Oesterreich
Heidelberg. Schon nach wenigen Szenen schleicht sich das Gefühl ein: Irgendwo ganz oben hockt der Geist von Johannes "Jopi" Heesters auf einer der Beleuchtungsbrücken und blickt verschmitzt herab aufs turbulente Bühnengeschehen, das unten auf den Brettern des Heidelberger Theaters während der Vorstellung der "Lustigen Witwe" vonstatten geht. Sie war Jopis Leib- und Magenstück.
Noch bis ins hohe Alter interpretierte der Methusalem seine Zugnummer "Da geh’ ich zum Maxim", wobei sich Heesters die Textvariante "Heut geh’ ich ins Maxim" erlaubte. Links und rechts umtänzelten den mit Frack und Zylinder ausgestatteten Grandseigneur dabei Lolo und Dodo, Jou-Jou und Frou-Frou, Clo-Clo und Margot, also all die sexy Grisetten aus dem Pariser Maxim, in dem Franz Lehárs 1905 uraufgeführter Welterfolg hauptsächlich spielt.
In Heidelberg hat Ipca Ramanovic die Jopi-Rolle des Grafen Danilo übernommen. Auch er steckt im feschen Frack, kommt aber ohne Zylinder aus. Dafür betört er die Damen der Pariser Halbwelt und die dorthin geflüchtete millionenschwere Witwe Hanna mit seinem melodiösen Bariton und seiner kernigen Ausstrahlung. Klar, dass er sich mit diesen Eigenschaften happyendlich die lustige Witwe angelt und damit auch noch den bankrotten Zwergstaat Pontevedro (alias Montenegro) vor der totalen Pleite rettet. In der Provinz, da hilft die Penunse von Madame eben mehr als im mondänen Paris: Süß und ehrenvoll ist’s, fürs Vaterland zu erben.
Die von Juanita Lascarro gesungene Hanna stimmt dem amourös-pekuniären Deal mit lieblichem Sopran zu. Sie tut dies aus Herzensneigung und Staatsraison. Davor betört sie ihr Publikum im Maxim, als hätte sie sich die laszive Nummer auf dem Stuhl von Marlene Dietrich im "Blauen Engel" abgeschaut. Ja, die Liebe! Ja, das liebe Geld! Beide sind die Triebfedern der walzerseligen Operetten-Klamotte, die mit viel Woman- und Manpower im Graben, auf und hinter der Bühne realisiert wurde. Ein Personalaufwand fast wie bei einer Wagner-Oper. Heidelbergs Intendant Holger Schultze hat den inszenatorischen Seitensprung ins Operetten-Fach gewagt, und man muss sagen: Schultze kann nicht nur Shakespeare, er kann auch Schnulze.
Das gesamte Team hat sich darauf mit Schmackes eingelassen, allen voran Dietger Holm, der dem Orchester einen so farbenreichen Schmelz verleiht, dass manche Besucher noch lange nach dem kräftigen Schlussapplaus in der Theater-Tiefgarage den einen oder anderen Ohrwurm trällern. Von den vielen Namen auf dem Besetzungszettel muss man vor allen Wilfried Staber als gehörnten Baron Mirko und die kokette Könnerin Yasmin Özkan als ehebrecherische Valencienne unterstreichen.
Sie ist eine charmante Femme fatale mit einem wunderbar warmen Sopran. Steffen Scheumann hat in seiner kauzigen Nebenrolle einmal mehr die Lacher auf seiner Seite. Er ist ein ausgefuchster Komiker mit knochentrockenem Humor. Shakespeares Puck lässt grüßen. All die anderen tragen auch zum Erfolg des Abends bei. Nur hier und da hätte man sich eine parodistische Prise mehr im Operetten-Menü gewünscht.
Marcel Kellers Salonarchitektur mit den vielen Portalen ist auf der Drehbühne häufig in Bewegung, sodass etliche Auftrittsmöglichkeiten und Überraschungsmomente zustande kommen - auch für den von Ines Kaun perfekt einstudierten Chor. Keine Mühe gescheut hat die Kostümdesignerin Erika Landertinger, deren Kledage zwischen Frack und Folklore changiert, nicht zu vergessen die verruchten Dessous, mit denen sie die Girls der Grisetten-Truppe ausgestattet hat. Mit der von Kati Farkas perfekt choreografierten Laszivität sorgt sie für einen Hauch von Friedrichstadtpalast im Heidelberger Theater.
Bei aller Vergnügungssucht - "Die lustige Witwe" hat auch ihre Schattenseiten. Sie war die Lieblingsoperette Hitlers. Während der NS-Zeit durften die Namen der jüdischen Librettisten Victor Léon und Leo Stein nicht genannt werden. Auf diese Aspekte deuten zwei Ausstattungsdetails hin: ein Plakat, auf dem Geld für eine Granate gezahlt wird, drumherum viele Kreuze wie auf einem Soldatenfriedhof. Rechts wirbt ein zweites Plakat für "Vichy", indirekt also für das französische Vasallen-Regime während der NS-Zeit.
Damit wird klar: "Die lustige Witwe" gleicht auch einem Tanz auf dem Vulkan. Der süßliche Sound der Operette kann das Grauen der Rezeptionsgeschichte nicht übertönen.
Info: www.heidelbergertheater.de