Schauspielerin Golshifteh Farahani in der Rolle der Psychoanalytikerin Selma. Foto: Prokino
Von Wolfgang Nierlin
Heidelberg. Als Selma (Golshifteh Farahani) nach Tunesien zurückkehrt, heißt man sie nicht gerade willkommen. "Scheiß Immigrantin" und "postkoloniale Agentin" schallt es ihr entgegen. Nach der Vertreibung des Machthabers Ben Ali möchte die attraktive Mittdreißigerin, die als Kind mit ihren Eltern nach Paris emigrierte, in Tunis eine psychotherapeutische Praxis eröffnen. Doch trotz ihres Gefühls der Zugehörigkeit findet sie sich heimatlos zwischen zwei Ländern.
Nur zu gut kennt sie die Mentalität und das hitzige Temperament ihrer Landsleute, auf die sie mal liebevoll, dann wieder genervt blickt. Insgeheim hegt sie Vorurteile, sieht sich aber als ledige, berufstätige Frau, die den Konventionen ihres Herkunftslandes nicht entspricht, Vorbehalten ausgesetzt. In Manele Labidis warmherzigem Spielfilmdebüt "Auf der Couch in Tunis", das von eigenen Erfahrungen inspiriert ist, spiegeln sich die gesellschaftlichen Widersprüche in den schwankenden Identitäten der Figuren.
Die französisch-tunesische Regisseurin hat aus diesen gegenseitigen Vorurteilen und kulturellen Unterschieden eine intelligente Culture-Clash-Komödie mit so markant wie fein gezeichneten Charakteren gemacht. Diese beginnt mit einem langen Blick auf ein ironisiertes Porträt von Sigmund Freud und damit auch mit dem Blick auf das Unterbewusste einer Gesellschaft und ihrer Menschen, die in einer Zeit des politischen Umbruchs nach Orientierung suchen.
Doch die Abwehr ist zunächst groß. Er wolle "keine Verrückten ins Haus lassen", erklärt etwa Selmas Hausverwalter und wettert weiter: "Die Leute im Land hier sind gläubig. So was Schwachsinniges wie einen Psychodoktor brauchen wir nicht." Die Frauen würden sich ihre Sorgen schon im Hamam oder in ihrem Beauty-Salon von der Seele reden, sagt etwa die stolze Besitzerin des Etablissements. Trotzdem stehen die Klienten auf der Dachterrasse vor Selmas Praxis bald Schlange.
Im Liegen lasse sich leichter über seine Seelennöte sprechen, wird einmal behauptet. Und so nähert sich die Salonbesitzerin gegen innere Widerstände ihrem Mutterkonflikt, enthüllt ein sich politisch verfolgt wähnender Bäcker allmählich seine wahre Geschlechtsidentität, und ein Imam, der von seiner Frau verlassen wurde, muss sich seiner Depression stellen. Doch Manele Labidi inszeniert diese "Reisen ins Innerste", die "das Wesen der Probleme" verändern sollen, nur als Streiflichter, in denen das widersprüchliche Bewusstsein der Gesellschaft ihren Widerhall findet. "Hier herrscht nur noch Chaos", sagt der Polizist Naïm (Majd Mastoura), der sich in Selma verliebt und das kompensiert, indem er ihr das Leben schwer macht.
Und so muss sich die Psychoanalytikerin bei dem Versuch, eine Lizenz für ihr Gewerbe zu ergattern, in die gemächlich und angeblich mit viel Gottvertrauen mahlenden Mühlen einer korrupten Bürokratie begeben. Zwischen Aufbegehren und Desillusionierung droht Selma selbst ein Nervenzusammenbruch. Wäre da nicht jener geheimnisvolle Fremde, der wie Sigmund Freud aussieht und eines Tages wie aus dem Nichts mit seiner schicken Limousine auftaucht, um Selma nicht nur aus einer Verkehrspanne zu helfen, sondern sie als schweigsamer Zuhörer gewissermaßen auch selbst zu "therapieren".
Info: Heidelberg, Kamera: Mittwoch, 16.20 Uhr; Gloriette: Samstag, Montag bis Mittwoch 20.45 Uhr.