Zeigen dem Täter das Foto des toten Mädchens: Katharina Schlothauer und Bjarne Mädel in von Schirachs „Feinde “. Foto: dpa/ard
Von Klaus Welzel
Berlin. Ein Sturm der Kritik fegt seit Jahren über ARD und ZDF hinweg: zu oberflächlich, zu quotig, zu niveaulos, Steigbügelhalter der AfD, Vereinfacher komplizierter Zusammenhänge. Oder noch schlimmer: auch nicht besser als die Privaten.
Am Sonntagabend bestand zur besten Sendezeit Gelegenheit zu beweisen, dass das alles Übertreibungen sind, dass die Öffentlich-Rechtlichen durchaus das Zeug zum Bildungsauftrag haben. Und glaubte man den großformatigen Anzeigen in Tageszeitungen, dann stand ein wirklich großer Fernsehabend bevor. Es ging ja um etwas.
Es ging um den Entführungsfall des Jakob von Metzler aus dem Jahr 2002. Der Bankierssohn, gerade einmal elf Jahre alt, wird von dem Jura-Studenten Magnus Gäfgen auf dem Schulweg entführt. Bei der Übergabe des Lösegelds wird Gäfgen festgenommen, in den Verhören bestreitet er erst die Tat, zieht dann völlig unschuldige Dritte in den Fall hinein, lügt auch bei der vermeintlichen Preisgabe des Geiselverstecks. Das ist der Punkt, an dem der damalige Frankfurter Polizei-Vizepräsident Wolfgang Daschner beschließt, dem Täter Folter androhen zu lassen. Dieser gibt das Versteck preis. Doch der entführte Junge ist da bereits tot.
Die reale Geschichte wäre hier zu Ende, hätte Daschner seine Folterandrohung nicht als Aktennotiz zu Protokoll gegeben und behördliche Absolution verlangt. Es kam anders. Gäfgen erhält eine lebenslange Gefängnisstrafe (besondere Schwere der Schuld), Daschner und sein untergebener Beamter, der die Drohung ausgesprochen hatte, erhalten Geldstrafen auf Bewährung. Sie werden also bestraft, aber mit Milde.
Aus diesem ethisch hochkomplexen Thema machte die ARD nun zwei Spielfilme: "Feinde – Gegen die Zeit" (hier dominiert Bjarne Mädel als Kommissar Peter Nadler) und "Feinde – Das Geständnis" (hier gibt Klaus Maria Brandauer den Anwalt Konrad Biegler zum Besten).
Um das Positive vorweg zu nehmen: Die beiden Hauptdarsteller machen ihre Sache sehr gut, gegen das vermurkste Drehbuch kommen sie aber nicht an. Selbiges sieht vor, dass der Polizist ohne konkretes Wissen den Verdächtigen mittels Waterboarding foltert. Auch hier verrät der Geiselnehmer das Versteck, und das entführte zwölfjährige Mädchen, eine Millionärstochter, ist ebenfalls tot. Anders als im wirklichen Leben leugnet aber der Folterer seine Tat und wird erst vor Gericht überführt, der Täter zugleich wegen des nicht verwertbaren Geständnisses freigesprochen.
Im Film-Gericht treten unerklärlicherweise Anwalt und Polizist gegeneinander an. Die Staatsanwältin schweigt, obwohl ja der Geiselnehmer angeklagt ist und nicht der Polizist, die Staatsanwältin lässt sich vom Anwalt mehrmals über den Mund fahren, die Richterin ordnet sich unter. Ja, so ist das, wenn ein Großschauspieler plädiert. Holzschnittartig geht es von der ersten bis zur letzten Szene zu.
Doch wo liegt der Erkenntnisgewinn? Sicher nicht in der zwischengeschalteten "Dokumentation". Hier werden reale Entführungsfälle kunterbunt mit der Filmstory und Interview-Fetzen des Romanschreibers Ferdinand von Schirach in schneller Abfolge gemischt (Der hat ja die Vorlage für "Feinde" verfasst). Zu allem Unglück stimmt noch ein Publikum aus Polizisten, Juristen und Eltern ab, ob das Freispruch-Urteil "gerecht" sei. Was für eine unterkomplexe Frage! Es geht nicht um Gerechtigkeit. Es geht um Ethik. Es geht um die Grenzen der Rechtsprechung. In beiden Filmen widerfährt diesem Anspruch jedoch keinerlei Gerechtigkeit.
Ist das schon die Banalität des Blöden oder Unfähigkeit? 2002 wurde angesichts des Gewissenskonflikts, in dem sich der Polizist Daschner befand, – auch in der RNZ – über die Folter an sich diskutiert, die ARD fand dazu wohl nicht den Mut, nicht die Kraft. Schade um den langen Abend, der um Mitternacht endete. 10,5 Millionen Zuschauer waren dabei – es spricht Bände, dass die ARD tags darauf die Zuschauern von Film 1 und Film 2 addiert: 15 Millionen! Wow, was für ein Erfolg.
Update: Freitag, 8. Januar 2021, 17 Uhr