Estland beim Internationalen Filmfestival

Traurige Gestalten mit trockenem Humor

Estland im Wettbewerb des Filmfestivals Mannheim-Heidelberg

12.11.2017 UPDATE: 13.11.2017 06:00 Uhr 1 Minute, 44 Sekunden
Foto: Filmfestival Mannheim-Heidelberg

Von Kirsten Kieninger

"Jeder verdient sein eigenes beschissenes Leben." Eine Lebensweisheit wie ein Schlag vor den Kopf: Es tut weh, aber rüttelt wach. Genau das, was die Protagonisten in den beiden estnischen Filmen im Wettbewerb des Internationalen Filmfests gut gebrauchen können, um am Ende glücklich zu werden. In der Tragikomödie "The Man Who Looks Like Me" sind es der 35-jährige Popmusik-Kritiker Hugo und sein Vater Raivo, die sich in Selbstmitleid ergehen. Hugo wurde von seiner Frau betrogen und muss sein Buch fertig schreiben, sein Vater trauert einer gescheiterten Musiker-Karriere hinterher. Gesund ist er auch nicht. Im Ferienhaus an der Küste treffen sie auf die Psychotherapeutin Marian. Eine Begegnung, die Bewegung in die "beschissenen Leben" der Männer bringt.

Sehenswert ist vor allem die verschrobene Vaterfigur (schön schräg: Roman Baskin). Laut Filmemacher Andres Maimik, der mit seiner Frau Katrin Maimik das Drehbuch und die Regie verantwortet, basiert der Film auf persönlichen Erfahrungen: "Das Material ist gründlich durchlebt und durchlitten. Wir wissen, wovon wir erzählen". Sie erzählen von Grenzüberschreitungen und Peinlichkeiten, von Entfremdung und Annäherung - im Kern von Familie und Liebe.

In "When You Least Expect It" sind es die 41-jährige Viivi und der um die 50 Jahre alte Andu, die durch eine Zufallsbegegnung in ihrem Alltagstrott wachgerüttelt werden und zusammen im Bett aufwachen. In einer Kneipe namens "Misericordia" treffen sie zusammen, denn das Drehbuch meint es zum Glück barmherzig mit den beiden traurig-sympathischen Gestalten, die auch in einem Kaurismäki-Film in guter Gesellschaft wären: Andu macht sich sein allabendliches Bier mit dem Hammer auf, der auf dem Kühlschrank liegt. Er lebt bei seiner Mutter, ein Arbeitskollege ist sein einziger Freund, er kann schlecht "nein" sagen, und will er nach Rio, so landet er in Keflavík - ein Umstand, den der Film zu einem ausführlichen Exkurs durch Island nutzt.

Überhaupt hat sich Filmemacher Mart Kivastik, der für Buch und Regie verantwortlich zeichnet, für eine ungewöhnliche dramaturgische Struktur entschieden: Zuerst lernen wir nur Viivi und ihr Leben kennen. Andu, den Fremden in ihrem Bett, treffen wir erst nach bald 40 Filmminuten in seinem Alltag an - noch bevor Viivi ihn dann kennenlernen wird.

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Dieser komplette Perspektivwechsel samt Zeitsprung macht - neben den lakonischen Figuren - den Reiz dieses Films aus. Mit ruhigen Bildkompositionen lässt sich "When You Least Expect It" viel Zeit für die Leere, welche die Protagonisten in ihren Leben fühlen, bevor sie aufeinandertreffen. Eine sehr melancholische Komödie, die in der ersten Hälfte durch kurze Einschnitte aus Viivis Gedankenwelt und Erinnerungen mehr humoristischen Drive bezieht, als später in Andus Teil des Films.

Aber am Ende finden sich beide wieder zusammen im Bett - und aus den beiden Unbekannten sind für den Zuschauer liebenswerte Gestalten geworden, denen man ein Happy-End wünscht.

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