Brad Mehldau in Ludwigshafen. Foto: Manfred Rinderspacher
Von Peter Wiest
Ludwighafen. Es war anders als gewohnt. Ziemlich anders. Ohne großen Empfang, ohne längere Reden und nur mit vier kurzen Grußworten. Und statt 1300 Zuschauern, die das BASF Feierabendhaus normalerweise fasst, durften lediglich 250 kommen, die dann auch noch im Foyer Masken tragen und sich natürlich an die gängigen Hygiene- und anderen Maßnahmen halten mussten. Aber es war trotzdem oder vielleicht sogar gerade deshalb eine wunderbare Veranstaltung – was man auch an den strahlenden Gesichtern der Besucher ablesen konnte, sobald diese ihren Platz erreicht hatten und dort die Masken abnehmen durften.
Und musikalisch war das Ganze einmal mehr einfach nur grandios: Ein hoch emotionales Konzert des Star-Pianisten Brad Mehldau, der bewies, dass es trotz der derzeitigen Lage keinen Grund gibt zur Melancholie, und so seinerseits für einen stimmungsvollen Abend sorgte. So wird sie denjenigen, die dabei sein durften, lange in Erinnerung bleiben, diese mehr als ungewöhnliche Eröffnung des 22. Enjoy Jazz-Festivals.
Wie sehr es nicht nur dem Publikum, sondern gerade auch den Künstlern selbst dürstet nach in diesen Zeiten so raren Live-Auftritten, hätte Mehldau gar nicht extra zu erwähnen brauchen – es war ihm anzumerken. Was ihn ebenso wie die meisten anderen Musiker umgetrieben hat in den zurückliegenden, konzertlosen Wochen, hat er auf seine Art in ein Werk umgesetzt, das er in dieser Zeit geschaffen hat: "Suite: April 2020" ist ein Zyklus von zwölf Klavierstücken, die der Pianist gleichsam im "Homeoffice" erarbeitet hat und die unterschiedlichen Stimmungslagen während des Lockdowns widerspiegelt. Auch dabei steht am Ende ganz deutlich und nicht nur musikalisch das ermutigende Fazit: Nein, es gibt keinen Grund zur Melancholie.
Wobei diese sich zwischendurch in Mehldaus Suite durchaus auch schon mal ihren Weg bahnt. Das darf sie dann auch – und wird immer wieder eingeholt, abgefangen und überholt durch andere, positivere Stimmungslagen. Beeindruckend gerade auch bei der Live-Performance der Suite, wie es dem Pianisten gelingt, diese Corona-bedingten Stimmungen und Gefühle in passenden musikalischen Bögen deutlich auszudrücken: Vom obligatorischen "Abstand halten" bei "Keeping Distance" über den nostalgischen Blick auf die schönen Zeiten vor der Krise ("Remembering before all this"), die Thematisierung krisenbedingter Probleme wie Schlafstörungen ("Yearning") oder Ausgangssperren ("Stepping outside") bis hin zum familiären Zusammenhalt in besonderen Zeiten ("Family Harmony"). Mit der bei ihm über jeglichen Zweifel erhabenen technischen Perfektion, noch mehr jedoch mit seinem absoluten Feeling mündet Mehldau schließlich in das finale "Lullaby": Ein wunderschönes und total ins Ohr gehendes Wiegenlied. Dass der Applaus sich danach so anhörte, als seien doch 1300 und nicht nur 250 Besucher gekommen, verwundert nicht.
Für den Pianisten Grund genug, ohne Umschweife aufzubrechen in den zweiten Teil des Konzertabends: Eine lose Folge von ihm interpretierter und pianistisch extravagant umgesetzter Songs der Beatles. Ausgesucht hatte er dafür nicht unbedingt gängige Hits der Fab Four, sondern eher ungewöhnliche Stücke wie "I am the Walrus" oder "Your Mother should know". Dazu dann langsame und nachdenkliche Lieder wie "For No One" oder "Baby’s in black", aber auch Upbeats wie "I saw her standing there" oder Balladen wie "Golden Slumber": Alle auf die persönliche Mehldau’sche Art geschmackvoll verpianosiert.
Nach drei Zugaben, darunter eine Interpretation von David Bowies "Life on Mars", durfte der Künstler noch nicht von der Bühne. Genau so euphorisch war tags darauf die Resonanz an einem zweiten, ebenfalls ausverkauften Konzertabend, den Brad Mehldau in Anbetracht der Situation gab. Und so wird es auch bei etlichen anderen der alles in allem über 50 Konzerte des diesjährigen Enjoy Jazz Festivals in den kommenden Wochen sein, auf die man sich freuen darf – mehr denn je und ganz ohne Melancholie.