Pravoslav Sovák: "Prager Frühling - Perugia", 1968-1969. Foto: Milan Chlumsky
Von Milan Chlumsky
Mannheim. Zuweilen werden aus Kindheitsträumereien starke Träume, und zuweilen werden sie sogar wahr. So wie bei Pravoslav Sovák, geboren im 12.000 Einwohner zählenden Städtchen Vysoké Myto (Hohenmaut). Als er vier Jahre alt war, siedelte die Familie nach Pilsen um. Mit 16 besuchte Sovák in Prag eine Schule für Grafik und Design, die ihm theoretisch ermöglicht hätte, ab 1944 an der Prager Kunstgewerbeschule zu studieren. Doch es war Krieg, Sovák wurde in einer Chemiefabrik eingesetzt, dann musste er in Ostmähren an den Befestigungsarbeiten an der Ostfront teilnehmen.
All diese Wechsel beeindruckten den 18-Jährigen tief. Es vergingen noch 12 Jahre, bis er sich im Prager Stadtviertel Smíchov, wo die meisten Handwerker und Kleingewerbeunternehmer trotz der strengen Regeln der kommunistischen Ideologen gelegentlich privaten Geschäften nachgingen, niederließ. In der Nähe seiner Wohnung befand sich die Kupferdruckerei Miro Pegrassi, die etwa Illustrationen zu Rilkes Dichtung druckte. Die hohe Schule der Drucktechnik öffnet Sovák Wege zu neuen graphischen Welten. Der Schriftsteller Milan Kundera wie auch der Dramatiker Václav Havel lobten Sováks experimentelle Breite und die technische Perfektion. Ganze sechs Stunden Vorsprung vor den Armeen des Warschauer Paktes hatte er am 21. August 1968, als er sich auf die Reise nach Essen ins Folkwang-Museum begab, um bei einer Ausstellungseröffnung seiner Arbeiten dabei zu sein. Endstation wurde aber die Schweiz, wo Sovák 1969 politisches Asyl bekam und sich weitere 13 Jahre gedulden musste, bis er die Staatsbürgerschaft erhielt. Es kamen Ausstellungen in der ganzen Welt zustande, das Museum of Modern Art in New York erwarb seine Werke, er war Gast bei der 36. Biennale in Venedig. An der Fachhochschule in Köln bildete er neue Adepten dieser schwierigen Kunst aus.
Ein umfangreiches Werk ist inzwischen entstanden und der inzwischen 90-jährige Sovák erinnert sich gern an die vielen Wege, in denen verschiedene Welten wie im Traum durcheinandergewirbelt wurden: Diese Verwirbelung ist sehr stark, fast unmittelbar fassbar, etwa in seinem "Graphischen Tagebuch", als er an den Selbstverbrennungstod von Jan Palach zurückdenkt oder über den Besuch bei dem schwer kranken Heinrich Böll 1978 räsoniert und dabei die verschiedenen Gesichtsausdrücke des Schriftstellers von den ursprünglichen Polaroids druckgraphisch (samt einigen Aquarelltropfen) ins Bildzentrum rückt.
Jetzt hat die Mannheimer Kunsthalle aus Anlass eines Catalogue Raisonné, der die druckgraphischen Werke von Pravoslav Sovák zwischen 1995 und 2016 umfasst, eine wunderbare Ausstellung in den acht Parterre-Räumen des Jugendstilbaus organisiert, in denen auch die früheren Arbeiten aus den 1960er Jahren mit dem Hauptthema "Stadt" gezeigt werden. Eine andere Serie von erträumten Museumsräumlichkeiten zeigt Werke großer Meister in Anwesenheit von Freunden und Familienmitgliedern - dies ermöglicht ihm einen besonderen Blick auf die Klassiker wie Cézanne oder Giacometti.
Nicht eindeutig und zugleich präzise sind seine "Indirect Messages", die eher der nicht näher definierten Topographie einer inneren Landschaft entsprechen. Schließlich ist die Serie der amerikanischen Wüstenlandschaften zu sehen, die meisterlich mit einem "Sfumato" versehen sind, dazu die bibliophilen Blätter zu Heinrich Bölls "Du fährst zu oft nach Heidelberg", schließlich die Wand- und Stadtansichten (besonders beeindruckend die Skyline von New York) sowie die Seelandschaften und Collagen. Mit der digitalen Bearbeitung einer verregneten Landschaft in Böhmen endet diese schöne Ausstellung eines sehr lebendigen Künstlers, der sich beklagt, dass er zu langsam arbeite. Am vergangenen Dienstag ist Pravoslav Sovák 90 Jahre alt geworden. Châpeau!
Info: "Pravoslav Sovák. Clear vision(s), Retrospektive, bis 23.10., Catalogue raisonné, in der Ausstellung 21,90 Euro; www.kunsthalle-mann heim.de