Musikmarathon: "Nik Bärtsch’s Mobile Extended" bei Enjoy Jazz im Heidelberger EMBL. Foto: Rinderspacher
Von Rainer Köhl
Ja, es war ein Event und hohe Kunst dazu, das gut 15-stündige Konzert von "Nik Bärtsch’s Mobile Extended". Ein Musik-Ritual, das in der besonderen Architektur des Heidelberger EMBL (Europäisches Labor für Molekularbiologie) seine ganz eigene Wirkung entfaltete. Alle Jahre ist der Schweizer Pianist mit seinem Bandprojekt bei "Enjoy Jazz" zu Gast, und wie 2014 kam er wieder in großer Besetzung seines "Mobile Extended".
Für den 15-stündigen Marathon muss man seine Kräfte einteilen. Das Publikum konnte kommen und gehen, tat es die ganze Nacht über, wanderte durch die Foyer-Aufgänge der Doppelhelix, saß oder stand still, einige Besucher lagen auf bereitgestellten Matratzen in Nischen der eindrucksvollen Foyer-Architektur. Eine Musik, zu der man ebenso gut chillen wie die hohe Kunst genießen konnte, die sich unterhalb der repetitiven Strukturen entwickelte.
Eine Nacht lang Musik, dazu teilten auch die Musiker die Kräfte ein, betraten in wechselnden Besetzungen die Bühne. Zwischen ruhigen und lebhaften Abschnitten, zwischen Anschwemmen und Verebben von Energie ging es in langen Wellen durch die Nacht. Magische Klänge waren es immerzu, die in den unterschiedlichen Kombinationen und Besetzungen sich entwickelten. Eine fesselnde Anschlagstechnik nutzte Bärtsch immer wieder für seine pianistischen Exkurse, faszinierende Tonrepetitionen ließ er flirren und schillern, unablässig die Farben ändernd.
Letzteres realisierte er mit Präparationen der Saiten, Dämpfereffekten. Die langsam und stetig sich verschiebenden Farben und Rhythmen, die sich über den repetitiven Rhythmen ausbreiten, wirkten wie Wolkenfelder, die im Zeitraffer vorbeiflogen vor großer Naturkulisse. Einmal mehr war der Musiker Sha an der Bass- und Kontrabassklarinette dabei, und mit einem Streichquintett wurde die Band zeitweise zum Kammerensemble Mobile extended erweitert.
Elegische, enigmatische Streicherharmonien gingen faszinierende Sonoritäten ein mit den dunkel hallenden Klängen der abgedämpften Klaviersaiten und der Trommeln. Trancehaft kreisende Motive, ruhig anschwellende und lange verebbende Klänge bewirkten mit dem ruhigen rhythmischen Groove ein meditatives Hörerlebnis von faszinierender Schönheit. Sehr viel minimalistisch angehauchte Musik wurde gespielt, Bärtsch-Kompositionen, auf viele Notenblätter notiert.
Dunkel pochende Trommelrhythmen gaben den Ton an, die große Trommel und weitere Trommeln, die auf den rituellen Groove asiatischer Trommelkunst meditativ einstimmten. Die stoischen Rhythmen wurden dabei elastisch belebt, angereichert mit den Asymmetrien des drum&bass. Komplexe Polyrhythmen verwoben dabei zwei oder mal drei drummer zu fesselnden, ruhigen Pulsationen. Percussive Patterns intonierte ebenso Sha an der Bassklarinette, gerne mit Slaptechnik, ging spannende Geflechte ein mit der Polrhythmik der drummer. Percussive, rhythmische Abschnitte entwickelten in ihrer kunstvoll geschichteten Metrik einen suggestiven Sog. Wurden hypnotisch, entwickelten beschwörenden Groove ebenso wie tänzerische Qualität.
Das spürten zwei junge Frauen, die zu den groovenden Marschrhythmen in Polonaise-Formation den Helix-Aufgang vergnügt hinauftanzten. Irgendwann wurde es auch fast noch richtig jazzig, als sich Nik Bärtsch mit folkloristisch swingenden Rhythmen einklinkte. Das Pulsieren und Tanzen der Klänge und Rhythmen ging in langen Phasen in schwereloses Schweben und Strömen über. Zusammen mit den gelegentlich aufscheinenden Visuals sowie den Texten des Sprechers Christian Reiner ergab dies einen Abend von großer Tiefe, lyrisch-elegischer Ruhe und dunkler Poesie.