Plus Da muss Max Koller ran

Last Exit Pfaffengrund

Große Politik in Heidelberg: Über der Stadt wird eine Kurzstreckenrakete gezündet, die USA drohen mit dem Gegenschlag

02.05.2017 UPDATE: 06.05.2017 06:00 Uhr 6 Minuten, 37 Sekunden

Illustration: Thomas Hussung

Es gab Wachteln mit Feigensoße, dazu Kurpfälzer Spargel. Der Wein hatte 50 Euro gekostet und war Bio. Als der Anruf kam, atmete ich auf. Es war ein Fehler gewesen, meine Ex zu dieser Einladung zu begleiten. Ihr Chef machte anzügliche Witze, seine Frau war eine Schreckschraube, ihre Sprösslinge hatten sich längst an den PC zurückgezogen.

"Sorry", sagte ich und stand auf. "Ist wichtig." Auf meinem Handy blinkte das Wort "Bullerei".

Ich verzog mich in den Flur, um das Gespräch entgegenzunehmen. Oben bei den Jungs wurde ein neuer Highscore bejubelt.

Als ich zurückkam, warf mir Christine einen finsteren Blick zu. Wie würde sie erst gucken, wenn ich sie allein in dieser Small-Talk-Hölle zurückließ?

"Ich muss zum Oberbürgermeister", sagte ich. "Jetzt, sofort."

Unserem Gastgeber klappte die Kinnlade nach unten. "Sie müssen was?" Seine Achtung vor mir stieg ins Unermessliche.

"Red kein Blech", schimpfte meine Ex.

"Stimmt leider. Es gibt einen Notfall in der Stadt. Die Polizei braucht mich."

"Wieso dich?"

"Wenn ich das wüsste." Ich war schon an der Tür. "Tut mir leid. Und danke für alles. Krasser Wein, echt." Umbrandet vom nächsten Highscoregeschrei flüchtete ich ins Freie.

Kommissarin Kehrer erwartete mich im Rathausfoyer. Sie sah blass aus. Auf dem Weg in den Sitzungssaal flüsterte sie mir zu, der Verteidigungsfall sei eingetreten.

"Welcher Verteidigungsfall?"

"Lachen Sie nicht: Wir sollen angegriffen werden."

Ich lachte nicht, denn im nächsten Moment stoppte mich ein Securitymensch und begrapschte mich von oben bis unten. Erst danach durften wir eintreten. Der Sitzungssaal dampfte vor Erregung. Ich erkannte den Oberbürgermeister, Gemeinderäte in hektischer Diskussion, dazu Typen in Uniform, Leute vom THW, DRK, von der Feuerwehr. Auf einer Riesenleinwand lief ein Newsticker neben Bildern von CNN und ständig wechselnden Internetseiten. Man sah Truppenaufmärsche und Paraden, ein Flugzeugträger pflügte durchs Meer.

"Was heißt das, wir werden angegriffen?", fragte ich die Kehrer.

"Warten Sie’s ab."

Gleich darauf ruderte ein Typ, der seitlich vor einer Batterie von Laptops saß, hektisch mit den Armen. Alles nahm Platz, oben auf der Leinwand erschien ein Anzugträger, der sich hinter einem Rednerpult aufbaute. Seitlich des Pults wehte das Sternenbanner.

"Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Gemeinderäte", begann der Mensch in fast akzentfreiem Deutsch, "im Auftrag meines Präsidenten muss ich Ihnen mitteilen, dass wir über bestimmte Vorfälle in Ihrer Stadt sehr beunruhigt sind."

"Was für Vorfälle?", rief jemand.

"Er meint bestimmt die Abiturfeiern", raunte ich der Kommissarin zu. Die reagierte nicht mal.

"Auf Heidelberger Territorium wurde soeben eine Kurzstreckenrakete gezündet. Eine Rakete nordkoreanischer Abstammung. Auch wenn sie kurz nach dem Start explodiert ist, können wir diese Provokation nicht ungesühnt lassen."

Großer Aufruhr, Protest von allen Seiten, Gelächter. Der OB versuchte sich Gehör zu verschaffen.

"Wir raten Ihnen dringend", fuhr der Anzugtyp fort, "mit uns zu kooperieren. Einer unserer Flugzeugträger ist bereits auf dem Weg in die Nordsee."

Jetzt wurde es noch lauter im Saal. Die Kehrer und ich wechselten Blicke. Vorne setzte der OB zu einer Gegenrede an, doch da erschien über uns eine Twitter-Nachricht: We’re sending an armada. @realDonaldTrump

Ich schickte Christine eine SMS: "Könnte später werden." Dann fragte ich die Kommissarin, was sie sich von meiner Anwesenheit versprach.

"Finden Sie raus, was es mit dieser Nordkorea-Sache auf sich hat."

"Sie glauben den Schwachsinn?"

"Vielleicht ein überdimensionierter 1.-Mai-Böller. Durchgeknallte Linksradikale. Hier wird doch dauernd gezündelt."

Ich tippte mir an die Stirn. Vorne erklärte der OB dem US-Botschafter, es müsse sich um einen Irrtum handeln, ein Missverständnis, er werde …

"Wir haben Beweise", unterbrach der Typ.

"Aber Sie können doch keinen Verbündeten angreifen. Wir sind Nato-Partner, schon vergessen?"

"Ein Partner, der seinen Bündnisverpflichtungen nicht nachgekommen ist, schon vergessen?"

Heidelberg is playing with fire, blinkte Twitter über uns.

"Und unsere gemeinsamen Werte, was ist mit denen?"

"Wenn ich mir Ihren Exportüberschuss anschaue, bleibt von gemeinsamen Werten wenig übrig." Buy american, hire american.

Der OB schüttelte verzweifelt den Kopf. "Aber das hier ist Heidelberg, verstehen Sie? Nicht Nordkorea oder der Iran. Heidelberg!"

Der Botschafter schnippte mit den Fingern. Hinter seinem Rücken wurden Bilder eingeblendet. Sie zeigten Heidelberger Straßenszenen, und irgendwie hatten verdammt viele Leute asiatisches oder südamerikanisches Aussehen.

People pouring in. Bad!

"Wir sind eben eine weltoffene Stadt", rief der OB.

"So offen, dass auf der Neckarwiese der Drogenhandel floriert", kam es von oben. "Patrick-Henry-Village: Hotspot für potentielle Terroristen. Jedem aufrechten Amerikaner tut es in der Seele weh, wenn er sieht, wie Sie mit den Wohnungen unserer Army umgehen." Das nächste Foto zeigte eine Kasernenruine in der Südstadt. Der Bagger, der auf dem Schuttberg thronte, war made in China. Zum Abschluss gab es ein Landschaftsbild: schwarze Türme vor rosarotem Abendhimmel.

"Das ist Ludwigshafen", rief ein Schnellmerker. "Die BASF!"

"Wird in der Nachbarschaft Sarin produziert?", sagte der Botschafter. "Glauben Sie mir, unsere Geheimdienste sind wachsam."

All these beautiful babies, twitterte Trump.

Die Kommissarin ballte die Faust.: Wir müssen etwas tun, Koller! Sie haben doch sonst immer eine Idee."

"Gibt es nordkoreanische Studenten an der Uni?"

"Denke schon."

"Verhaften und ausliefern. Mehr fällt mir nicht ein."

Der US-Botschafter war mittlerweile vom deutschen Kanzleramtsminister abgelöst worden. Der sprach ebenfalls ziemlich akzentfrei. Er versicherte den Heidelbergern seine totale Solidarität, räumte aber gleichzeitig ein, dass die Stadt in den letzten Monaten immer wieder für Empörung bei der Trump-Administration gesorgt habe.

"Denken Sie an die Clinton-Begeisterung im DAI! Die aggressive Einkaufspolitik Ihrer Konzerne in den USA. Grassierender Antiamerikanismus unter den Studierenden. Warum hat Heidelberg keine Partnerstadt in den Staaten? Dafür in Russland und Fernost!"

"In Japan, Herr Minister. Japan ist nicht Nordkorea"

"Erklären Sie das mal Trump, Herr Oberbürgermeister. Übrigens: Sie sind Präsident der Energy Cities. Oberster Klimawandelpropagandist sozusagen. Glauben Sie, so was kommt gut?"

"Was schlagen Sie vor?"

"Deeskalation. Haben Sie keinen versöhnlichen Imagefilm über Heidelberg, den Sie den Amis zeigen können?"

"Haben wir, haben wir", nickte der OB eifrig. "Mit Bildern vom deutsch-amerikanischen Freundschaftsfest!"

"Existiert das noch?", flüsterte ich der Kehrer zu, aber die hatte natürlich keine Ahnung.

Und schon spielte ein patenter OB-Mitarbeiter Bilder des Stadtmarketings ein: Schloss, Alte Brücke, Uni. Hübsch! Dann die Chirurgie im Neuenheimer Feld, vor der eine Gruppe von Patientinnen stand. Vollverschleiert.

"Naja", sagte der Kanzleramtsminister.

Jemand schlug vor, den Ort zu wechseln. Im Bunker des ehemaligen Nato-Hauptquartiers sei man sicherer. Wegen der Flugzeugträger und so. Ein Gemeinderat begann, Getränke zu horten. Der OB schwitzte wie sonst nur beim Halbmarathon. Immer neue Trump-Tweets gingen ein: Our country needs leadership now … expand our nuclear capability … Heidelberg is a problem. The problem will be taken care of.

Auch die US-Medien bekamen Wind von der Sache. Die seriöseren zählten auf, wie oft US-Soldaten in Heidelberg Ziel von Anschlägen geworden waren. Die weniger seriösen berichteten vom March for Science ("Anti-Trump"), vom Theaterfestival "Adelante" ("Anti-USA") und diversen Friedensdemos ("Anti-anti-IS"). Auf Breitbart-News wurde eine Touristin mit den Worten zitiert, in Heidelberger Bäckereien sei es geradezu ein Volkssport, Amerikaner zu essen. Den Recherche-Vogel aber schoss ein Investigativjournalist mit einem Bericht aus Eppelheim ab: Dort gebe es einen Zaun, eine regelrechte Demarkationslinie, die Nordeppelheim von Südeppelheim trenne und deren Überschreiten bei Todesstrafe verboten sei.

"Wir müssen etwas tun", raunte ich der Kommissarin zu.

"Sag ich doch!", zischte sie.

Auf der Leinwand über uns rauschte wieder der Flugzeugträger vorbei. Die Flecken Land, die man im Hintergrund sah, ähnelten zwar eher dem Great Barrier Reef, aber sicher war ich mir nicht. Eine SMS von Christine: "Was ist los, Max? Warum heulen die Sirenen? Bist du zum Dessert zurück?" Ich antwortete nicht.

Jetzt wieder der US-Botschafter. Die Behauptung des OB, den angeblichen Raketenstart habe es nie gegeben, jedenfalls nicht auf Heidelberger Gemarkung, wischte er kühl beiseite.

"Wir haben Aufnahmen davon."

"Zeigen Sie sie uns!"

Achselzucken. Im nächsten Moment kam eine Asphaltpiste in Sicht. Es war die alte US-Landebahn drüben im Pfaffengrund. Und dort stand doch tatsächlich ein Militärlaster mit einer Rakete huckepack. Ich will nicht respektlos sein, aber sie sah aus wie Kurpfälzer Spargel, grün. Ein Raunen lief durch den Sitzungssaal. Auf der Rakete waren koreanische Schriftzeichen angebracht und eine blau-rote Flagge mit Stern. Soldaten wuselten um das Ding herum, dann verschwanden sie, aus dem Ende der Rakete loderte Feuer, und zack, schon hob sie ab. Sie befand sich genau über der Bahnstadt, als sie explodierte. Ihre Trümmer flogen nach allen Seiten.

"Das gibt’s doch nicht", hörte ich die Kehrer neben mir flüstern. Die Gemeinderäte waren wie versteinert.

"Aufnahmen, die heute Abend ins Dark-net gestellt wurden", erklärte der Botschafter aus dem Off. "Aufgespürt von der NSA. Noch Fragen?"

Stille im Saal. Dann meldete ich mich.

"Was ist das dort rechts oben für eine Zahl?" Auch wenn ich kein Teenager mehr bin: Auf meine Augen kann ich mich verlassen. In einer Ecke des Films stand deutlich: 33.287.

"Koreanischer Geheimcode", meinte der Ami. "Noch nicht entschlüsselt."

"Und wenn es ein Highscore ist?"

Wir können weitertrinken", sagte ich und nahm die 50-Euro-Bottle vom Tisch. Christines Chef und seine Frau glotzten dämlich, aber weniger dämlich als meine Ex.

"Wie?", stammelte sie. "Was? Spinnst du?"

"Ich hab eben die Welt gerettet. Beziehungsweise Heidelberg, aber das ist ja das Gleiche. Wenn ihr Einzelheiten wissen wollt, kommt mit nach oben."

Zu viert betraten wir das Zimmer, in dem die Söhne des Hauses sich am PC vergnügten. Eine Lernsoftware Latein, ach nee.

"Und was habt ihr eben gespielt, ihr Gurken?", fuhr ich die beiden an. Erst machten sie einen auf ultracool - aber nur, bis ich ihnen das Wort "Nordkorea" um die Ohren pfefferte. Da wurden sie kleinlaut und kehrten zu dem Programm zurück, das sie bei unserem Eintritt geschlossen hatten.

"Red Kim Bomber", las ihr Vater fassungslos. "Mit so was vertreibt ihr euch die Zeit?"

"Schämt euch!", rief die Mutter. Schön war sie wirklich nicht.

Ich entkorkte die Flasche. "Wahrscheinlich seid ihr noch stolz, dass ihr heute den Highscore gebrochen habt."

Der eine nickte automatisch und bekam einen Rippenstoß.

"Und warum habt ihr ausgerechnet Heidelberg als Schauplatz für euer Geballer gewählt?"

"Weil … ist doch cool, Alter, so vor der Haustür."

Darauf einen Schluck. "Und dann mit gehackter koreanischer Adresse ins Netz stellen, ja?"

"Kam gut", grinsten die Helden.

"Ja, kam verdammt gut. Draußen steht die Polizei und verlangt eine Erklärung für das Gedaddel. Vielleicht lest ihr euch mal Trumps neueste Twitter-Nachrichten durch."

Noch ein Schluck, dann war die Flasche leer. Ich drückte sie Christine in die Hand. Beim Hinausgehen warf ich einen letzten Blick auf den Bildschirm. Look, what is happening all over Europe, stand dort. A horrible mess!